Nie wieder stumm sein, weghören und wegschauen

Verband der Redenschreiber mahnt klare Worte gegen Antisemitismus an und erinnert an Gedenkrede von Helmut Schmidt

  • VRdS fordert klare Worte gegen antisemitischen Hass in jeder Form
  • Helmut Schmidt hielt in der Kölner Synagoge am 9.11.1978 erste Gedenkrede
  • Erinnerung an Geist und Rhetorik der Unabhängigkeitserklärung Israels

Königswinter, 7. November 2023: In öffentlichen Reden eine klare Haltung gegen jede Form von Antisemitismus zeigen: Dazu fordert der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 auf. Durch den Terroranschlag der Hamas heute vor einem Monat hat das Gedenken eine ungeahnte Aktualität erhalten.

„85 Jahre nach der Reichspogromnacht werden in Berlin wieder Häuser mit Davidsternen beschmiert, in den sozialen Netzwerken und auf unseren Straßen begegnet uns abscheuliche antisemitische Rhetorik. Das ist beängstigend. Und es mahnt uns alle, in öffentlichen Reden klare Worte gegen jede Form von Antisemitismus und Hasspropaganda zu finden,“ so VRdS-Präsident Peter Sprong. „Wir dürfen nie wieder stumm sein, nie wieder weghören und wegschauen.“ Öffentlichen Rednern und ihren Redenschreibern komme eine wichtige Rolle zu, wenn es darum gehe, unsere Erinnerung an die Greuel von damals wachzuhalten und die antisemitische Hasspropaganda von heute beim Namen zu nennen.

Am 9. November werde es wieder überall im Land Gedenkreden geben – in Parlamenten, Vereinen, Unternehmen, Schulen. Sprong: „Diese Reden sind enorm wichtig, um unsere Erinnerung aufrechtzuerhalten und die Botschaft zu verbreiten: Antisemitismus darf bei uns keinen Platz haben.“ Wie dies rhetorisch gelingen kann, habe Vizekanzler Robert Habeck in zwei vielbeachteten Videoansprachen gezeigt, „in denen er unmissverständlich jede Form von Antisemitismus verurteilt und klar begründet, warum Deutschland der Sicherheit Israels verpflichtet ist.“

Die beiden Statements wurden auch in das Online-Projekt „Megilla – Jüdisches Leben in Reden“ aufgenommen, eine kommentierte Sammlung von Reden, die der VRdS anlässlich des Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ initiiert hat. Darin werden bislang mehr als 30 bedeutende Reden und Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte und Gegenwart vorgestellt, von Moses über Theodor Herzl bis zu Golda Meir und Margot Friedländer.

9. November 1978: Gedenkstunde zum 40. Jahrestag der Progromnacht in der großen Synagoge in Köln mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Foto: picture-alliance/Bertram

 

Grundstein der Erinnerungskultur: Helmut Schmidts Rede in der Kölner Synagoge

Die Redesammlung „Megilla“ enthält auch eine sehr bedeutsame Rede von Helmut Schmidt. Am 9. November 1978 – vor 45 Jahren – hat er mit einer international beachteten Rede zum 40. Jahrestag der Novemberpogrome in der Kölner Synagoge den Grundstein für unsere Gedenkkultur gelegt. Vorher war in Deutschland von staatlicher Seite noch nie an die Novemberpogrome von 1938 gedacht worden.

Helmut Schmidt war auch der erste Bundeskanzler, der in einer Synagoge sprach, damals eine Sensation. Seine Botschaft gilt noch heute und in Zukunft. Er forderte die Deutschen auf, Verantwortung zu übernehmen: „[Wir] haben die politische Erbschaft der Schuldigen zu tragen und aus ihr die Konsequenzen zu ziehen. Hier liegt unsere Verantwortung. […] Auch junge Deutsche können noch mitschuldig werden, wenn sie ihre aus dem damaligen Geschehen erwachsene heutige und morgige Verantwortung nicht erkennen.“

Mitgewirkt an dieser Rede hat der Gründer und heutige Ehrenpräsident des VRdS, Dr. Thilo von Trotha. In einem Podcast mit der ehemaligen VRdS-Präsidentin Jacqueline Schäfer gewährt er Einblicke in die Entstehungsgeschichte dieser heute fast vergessenen Rede.

Schlüsseltext zum Verständnis Israels: Die Unabhängigkeitserklärung von 1948

Ein weiterer grundlegender Text, der in die Redesammlung „Megilla“ aufgenommen wurde, ist die israelische Unabhängigkeitserklärung. Anlässlich des 75. Jahrestages der Staatsgründung Israels am 14. Mai 2023 hatte der VRdS an ihre Veröffentlichung in Form einer Rede erinnert. Der Text wurde von David Ben Gurion am 14. Mai 1948 in Tel Aviv vor 250 geladenen Gästen verlesen und im Radio landesweit übertragen.

Der Text entstand in einem mehrwöchigen Prozess, an dem mehrere Gremien und ein Dutzend Autoren beteiligt waren, die bis zuletzt an jedem Wort feilten, wie es beim Verfassen wichtiger Reden und Texte in der Politik üblich ist. „Die israelische Unabhängigkeitserklärung ist von freiheitlich-demokratischem Geist getragen und ein Musterbeispiel rhetorischer Qualität: prägnant und poetisch, kraftvoll und klar, exzellent in Aufbau, Argumentation und Stil. Cicero hätte seine Freude daran gehabt“, so Jürgen Sterzenbach, Vizepräsident des VRdS und Leiter des Projekts Megilla. Inhaltlich handelt es sich um einen Schlüsseltext zum Verständnis der Staatsgründung Israels und der politischen Entwicklung im Nahen Osten.

Links

Projekt Megilla: https://vrds.de/redekultur/megilla/

Videoansprachen von Robert Habeck: https://vrds.de/die-kraft-der-worte-robert-habeck-ueber-israel-und-antisemitismus/

Gedenkrede von Helmut Schmidt: https://vrds.de/der-anfang-des-gedenkens-helmut-schmidts-rede-am-9-november-1978-in-der-koelner-synagoge/

Israelische Unabhängigkeitserklärung: https://vrds.de/14-mai-1948-david-ben-gurion-erklaert-die-unahaengigkeit-israels/