14. Mai 1948: David Ben-Gurion erklärt die Unabhängigkeit Israels

David Ben-Gurion beim Verlesen der Unabhängigkeitserklärungin Tel Aviv. Über ihm das Porträt von Theodor Herzl, dessen Vision eines eigenen Staates für das jüdische Volk rund 50 Jahre später Wirklichkeit wurde. Foto: Government Press Office, Israel (GPO)

In einer öffentlichen Ansprache proklamierte der damalige Vorsitzende der Volksverwaltung und spätere Ministerpräsident David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 (5. Ijjar 5708 nach jüdischem Kalender) den Staat Israel. Dazu hatten sich in Tel Aviv 250 Gäste im alten Kunstmuseum auf dem Rothschild-Boulevard, der heutigen Independence-Hall, versammelt. Im Saal hing ein überlebensgroßes Porträt von Theodor Herzl, dem „Seher des jüdischen Staates“, als der er in der Unabhängigkeitserklärung namentlich erwähnt wird. Der Text wurde im Rahmen einer rund 30-minütigen Zeremonie verlesen und landesweit im Rundfunk übertragen. Am 15. Mai 1948 um Mitternacht trat die Unabhängigkeitserklärung in Kraft. Das schriftliche Dokument hat die Form einer Schriftrolle (hebräisch: Megilla) und trägt die Unterschriften von 37 Mitgliedern des Volksrates, darunter zwei Frauen: Golda Meir und Rachel Cohen-Kagan.

Den ersten Textentwurf verfasste der Jurist Zvi Berenson,  die endgültige Fassung entstand  in einem mehrwöchigen Prozess, an dem mehrere Gremien und ein Dutzend weiterer Autoren beteiligt waren, die bis zuletzt an jedem Wort gefeilt haben – eine Arbeitsweise, die beim Verfassen von wichtigen politischen Reden und Texten üblich ist. Es lohnt sich, die israelische Unabhängigkeitserklärung heute wieder zu lesen. Sie ist ein Musterbeispiel rhetorischer Qualität: prägnant und poetisch, kraftvoll und klar, exzellent in Aufbau, Argumentation und Stil. Cicero hätte seine Freude daran gehabt.

Schlüsseltext zum Verständnis des Staates Israel

Inhaltlich ist die israelische Unabhängigkeitserklärung ein Schlüsseltext zum Verständnis des Staates Israel und der politischen Entwicklung im Nahen Osten bis heute. Sie spannt den historischen Bogen von der Entstehung des jüdischen Volkes über seine Verbannung in die Diaspora und die verbindende Hoffnung auf Heimkehr bis zur internationalen Anerkennung seines Rechts auf die Wiedererrichtung einer nationalen Heimstätte. 

Den Kern des Textes bilden die Unabhängigkeitserklärung und ihr Inkrafttreten um Mitternacht am 15. Mai 1948, die Festlegung des Namens Israel für den neuen Staat und die Darlegung seines freiheitlichen Charakters. Allen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht wird sowohl die soziale und politische Gleichberechtigung garantiert als auch die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, der Sprache, Erziehung und Kultur. 

Auch der Friedenswille Israels kommt in der Erklärung zum Ausdruck. „Wir reichen allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und zu guter Nachbarschaft“, heißt es wörtlich. Nach mehreren Kriegen, in denen Israel seine Existenz verteidigen musste, hat sich dieser Friedenswille in den vergangenen 75 Jahren immer mehr durchgesetzt. Zwar wird Israel nach wie vor von Feinden bedroht, die keinen Frieden wollen. Doch die Friedensschlüsse mit mehreren arabischen Staaten in den letzten Jahren (Abraham Accords) zeigen, dass der Wille der Staatsgründer, mit seinen Nachbarn in Frieden zu leben, immer mehr Früchte trägt.

Vollständiger Text der israelischen Unabhängigkeitserklärung

Im Land Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig, hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das Ewige Buch der Bücher.

Durch Gewalt vertrieben, blieb das jüdische Volk auch in der Verbannung seiner Heimat in Treue verbunden. Nie wich seine Hoffnung. Nie verstummte sein Gebet um Heimkehr und Freiheit.

Beseelt von der Kraft der Geschichte und der Überlieferung, suchten Juden aller Generationen in ihrem alten Lande wieder Fuß zu fassen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte kamen sie in großen Scharen. Pioniere, Verteidiger und Einwanderer, die trotz der Blockade den Weg in das Land unternahmen, erweckten Einöden zur Blüte, belebten aufs Neue die hebräische Sprache, bauten Dörfer und Städte und errichteten eine stets wachsende Gemeinschaft mit eigener Wirtschaft und Kultur, die nach Frieden strebte, aber sich auch zu schützen wusste, die allen im Lande die Segnungen des Fortschritts brachte und sich vollkommene Unabhängigkeit zum Ziel setzte.

Im Jahre 1897 trat der erste Zionistenkongress zusammen. Er folgte dem Rufe Dr. Theodor Herzls, dem Seher des jüdischen Staates, und verkündete das Recht des jüdischen Volkes auf nationale Erneuerung in seinem Lande. Dieses Recht wurde am 2. November 1917 in der Balfour-Deklaration anerkannt und auch durch das Völkerbundmandat bestätigt, das der historischen Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Lande Israel und seinem Anspruch auf die Wiedererrichtung seiner nationalen Heimstätte internationale Geltung verschaffte.

Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert.

Das Original-Dokument der israelischen Unabhängigkeitserklärung. Es wird im Israel-Museum in Jerusalem ausgestellt.

Die Überlebenden des Holocaust in Europa sowie Juden anderer Länder scheuten weder Mühsal noch Gefahren, um nach dem Lande Israel aufzubrechen und ihr Recht auf ein Dasein in Würde und Freiheit und ein Leben redlicher Arbeit in der Heimat durchzusetzen.

Im Zweiten Weltkrieg leistete die hebräische Gemeinschaft im Lande Israel ihren vollen Beitrag zum Kampfe der frieden- und freiheitsliebenden Nationen gegen die Achsenmächte. Mit dem Blute ihrer Soldaten und ihrem Einsatz für den Sieg erwarb sie das Recht auf Mitwirkung bei der Gründung der Vereinten Nationen.

Am 29. November 1947 fasste die Vollversammlung der Vereinten Nationen einen Beschluss, der die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel forderte. Sie rief die Bewohner des Landes auf, ihrerseits zur Durchführung dieses Beschlusses alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Die damalige Anerkennung der staatlichen Existenzberechtigung des jüdischen Volkes durch die Vereinten Nationen ist unwiderruflich.

Gleich allen anderen Völkern, ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen.

Gleich allen anderen Völkern, ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen.

Demzufolge haben wir, die Mitglieder des Nationalrates, als Vertreter der hebräischen Bevölkerung und der zionistischen Organisation, heute, am letzten Tage des britischen Mandats über Palästina, uns hier eingefunden und verkünden hiermit kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel – des Staates Israel.

Wir beschließen, dass vom Augenblick der Beendigung des Mandates, heute um Mitternacht, dem sechsten Tage des Monats Ijar des Jahres 5708, dem 15. Mai 1948, bis zur Amtsübernahme durch verfassungsgemäß zu bestimmende Staatsbehörden, doch nicht später als bis zum 1. Oktober 1948, der Nationalrat als vorläufiger Staatsrat und dessen ausführendes Organ, die Volksverwaltung, als zeitweilige Regierung des jüdischen Staates wirken sollen. Der Name des Staates lautet Israel.

Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. Er wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben.

Der Staat Israel wird bereit sein, mit den Organen und Vertretern der Vereinten Nationen bei der Durchführung des Beschlusses vom 29. November 1947 zusammenzuwirken und sich um die Herstellung der gesamtpalästinensischen Wirtschaftseinheit bemühen.

Wir wenden uns an die Vereinten Nationen mit der Bitte, dem jüdischen Volk beim Aufbau seines Staates Hilfe zu leisten und den Staat Israel in die Völkerfamilie aufzunehmen.

Wir wenden uns – selbst inmitten mörderischer Angriffe, denen wir seit Monaten ausgesetzt sind – an die in Israel lebenden Araber mit dem Aufrufe, den Frieden zu wahren und sich aufgrund voller bürgerlicher Gleichberechtigung und entsprechender Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates an seinem Aufbau zu beteiligen.

Wir reichen allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und zu guter Nachbarschaft und rufen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem unabhängigen hebräischen Volk in seiner Heimat auf.

Wir reichen allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und zu guter Nachbarschaft und rufen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem unabhängigen hebräischen Volk in seiner Heimat auf.

Der Staat Israel ist bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Bemühungen um den Fortschritt des gesamten Nahen Ostens zu leisten.

Unser Ruf ergeht an das jüdische Volk in allen Ländern der Diaspora, uns auf dem Gebiete der Einwanderung und des Aufbaus zu helfen und uns im Streben nach der Erfüllung des Traumes von Generationen – der Erlösung Israels – beizustehen.

Mit Zuversicht auf den Fels Israels setzen wir unsere Namen zum Zeugnis unter diese Erklärung, gegeben in der Sitzung des provisorischen Staatsrates auf dem Boden unserer Heimat in der Stadt Tel Aviv. Heute am Vorabend des Sabbat, dem 5. Ijar 5708, 14. Mai 1948.

Der vollständige Text in deutscher Sprache wird auch von der israelischen Botschaft in Deutschland zum Download angeboten.

 

 

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