Letztes Jahr wurde ich vom Kölner Stadt-Anzeiger zum Thema Redenschreiben interviewt. Im Laufe des Gesprächs kamen wir auf bedeutende Redner und Reden zu sprechen und der Journalist fragte mich, welche eigentlich meine Lieblingsrede sei. Gute Frage! Ich hatte keine spontane Antwort, doch kurz bevor wir uns verabschiedeten, fiel sie mir wieder ein, meine Lieblingsrede: die Bundestagsrede von Loriot! Ach was?
Bernhard Victor Christoph Carl „Vicco” von Bülow alias Loriot wäre am 12. November 2023 hundert Jahre alt geworden. Seine Bücher, Cartoons, Zeichentrickfilme, Sketche und Spielfilme haben die Deutschen die intelligente, hintergründige Art des Humors gelehrt, die wir heute allzu oft vermissen. Schenkelklopfer waren seine Sache nicht, er brachte die Menschen mit Beobachtungsgabe, Sprachwitz und Augenzwinkern zum Lachen, nicht mit dem Holzhammer. Doch auch derbere Gags wie einen Tortenwurf ließ er nicht aus, hatte dafür aber eine vornehme Erklärung: „Die Torte im menschlichen Antlitz ist einer der bedeutendsten Einfälle des internationalen Humors.“
Zum 100. Geburtstag wurden Loriot unzählige Artikel, Fernsehbeiträge, Sonderausgaben, sogar eine Briefmarke und eine Ausstellung im Frankfurter Caricatura-Museum gewidmet. Kein deutscher Humorist hat es zu solcher Popularität gebracht. Längst gehört er zu den Unsterblichen. Er war ein Genie und Multitalent: Zeichner, Texter, Moderator, Schauspieler, Regisseur und – was heute weniger bekannt ist – auch Redenschreiber und Redner. Er schrieb und hielt vor allem Festreden, so etwa zum 50. Geburtstag der Süddeutschen Zeitung, zum 60. Geburtstag von Edmund Stoiber oder zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker. Mit zunehmendem Alter wurde auch die Kunst der Dankesrede immer öfter von ihm verlangt. Vom Bundesverdienstkreuz bis zum Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache räumte er alles ab, was Kulturschaffenden zur Ehre gereicht wird, musste allerdings bei der Entgegennahme stets hohe Erwartungen erfüllen. Und siehe da: Loriot, der in jungen Jahren schüchtern war und eigentlich lieber vor der Kamera agierte als vor einem Live-Publikum, wusste auch dieses mit seiner Eloquenz zu beglücken. Davon zeugt eine Zusammenstellung einiger seiner Reden, die damals auf einer Langspielplatte verewigt wurden und heute bei Hörbuchanbietern erhältlich sind.
Loriot hatte Malerei und Grafik studiert; die schon früh entwickelte Knollennase, die seine gezeichneten Figuren schmückt, wurde zu seinem Markenzeichen. Zugleich war er ein scharfer psychologischer Beobachter, der das Komische der menschlichen Existenz wunderbar in Szene zu setzen und in Worte zu fassen verstand. Davon zeugen legendäre TV-Sketche wie „Der Lottogewinner“ von 1976 („Ich heiße Erwin und bin Rentner. Und in 66 Jahren fahre ich nach Island und da mache ich einen Gewinn von 500.000 Mark. Und im Herbst eröffnet dann der Papst mit meiner Tochter eine Herrenboutique in Wuppertal.“), „Die Nudel“ von 1977 („Nein, sagen Sie noch nichts! Es gibt Augenblicke im Leben, wo die Sprache versagt, wo ein Blick mehr bedeutet als viele Worte.“) oder „Die Jodelschule“ von 1978 („Holleri du dödel di“).
Was immer mein Hauptthema gewesen ist, das ist die mangelnde Kommunikationsfähigkeit
Er verfügte über feinste Antennen für die zwischenmenschliche Kommunikation und sagte in einem Fernsehinterview einmal: „Was immer mein Hauptthema gewesen ist, das ist die mangelnde Kommunikationsfähigkeit, das Aneinander-vorbei-reden der Menschen, die bestimmte Dinge miteinander bereden wollen und trotzdem auf ein falsches Gleis geraten.“
Dutzende seiner Formulierungen sind zu geflügelten Worten geworden („Die Ente bleibt draußen“, „Früher war mehr Lametta“, „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“). Loriots größtes sprachliches Kunstwerk aber ist die Bundestagsrede, ein TV-Sketch, mit dem ihm 1972 eine zeitlose Parodie der politischen Rede gelungen ist. Sie wurde anmoderiert „als ein Beispiel für faire Kommunikation und eine klare politische Linie,“ dann sah man Loriot als Karikatur eines Abgeordneten (Hasenzähne!) am Rednerpult des damaligen Deutschen Bundestages in Bonn und erlebte eine auf drei Minuten konzentrierte Sternstunde der Rhetorik. „Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch, ohne darum herumzureden, in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden,“ begann seine Rede und es folgte eine fulminante Aneinanderreihung von bedeutungsschwangeren Phrasen und unvollendeten Sätzen, die nun, aller Inhalte entledigt, typische Muster aufzeigten, wie man wirkungsvoll argumentiert, ohne auch nur ein einziges Argument zu nennen. Folgerichtig schloss die Rede mit den Worten: „Letzten Endes, wer wollte das bestreiten!
Der Erkenntnisgewinn von Loriots Bundestagsrede für unser demokratisches Gemeinwesen war und ist nicht zu unterschätzen. Das Fernsehpublikum lachte Tränen, und seit über 50 Jahren ist sie landauf, landab ein ebenso amüsanter wie tiefgründiger Gegenstand von Deutschstunden und Rhetorikseminaren. Ein Lehrstück für alle, die mit dem Gedanken spielen, in der Politik Karriere zu machen.
Und warum ist die Bundestagsrede meine Lieblingsrede? Wahrscheinlich ganz einfach deshalb, weil man als Sinnproduzent, zu dem man als Redenschreiber von Berufs wegen verdammt ist, seinen Gehirnzellen hin und wieder eine radikale Pause gönnen muss. Wie sonst ließe sich die Wirklichkeit ertragen, wie sonst neuer Sinn finden? Es lebe der feinere, es lebe der höhere Unsinn, es lebe Loriot!
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Wunderbar ge- und beschrieben, lieber Jürgen!
Danke für die ausführliche Würdigung dieses Jahrhundert-Menschen, Jürgen! Wir haben LORIOT in Östereich auch sehr geliebt, geschätzt, herzlich gelacht, über Vieles, so auch über die berühmte Frühstücksszene: „Berta, das Ei ist hart ….“ oder die „Knollennasen“, und so vieles mehr.
Ach, was für ein universeller, wunderbarer Humor!! Leichtfüssig, pointiert, treffend, niemals billig-niveaulos….
Eine sehr gelungene Laudatio auf den Redner Loriot – danke!