Diese Nachricht ist eines der Highlights der laufenden Hauptversammlungs-Saison der DAX40-Konzerne: Carla Kriwet verlässt Europas größten Hausgerätehersteller BSH und übernimmt spätestens Anfang 2023 den Vorstandsvorsitz des Medizinunternehmens Fresenius Medical Care (FMC). Stellvertretende Vorstandsvorsitzende wird die bisherige Finanzvorständin Helen Giza. Dank dieser Rochade wird nun erstmals ein DAX40-Konzern von einem Frauen-Duo geführt. Den beiden Führungs-Damen gutes Gelingen von dieser Stelle aus!
Die Berufungen von Carla Kriwet und Helen Giza sind ein wahrlich historisches Ereignis hin zu mehr Diversität – auch bei den DAX40-Konzernen. Damit ist Belén Garijo, seit einem Jahr Vorstandsvorsitzende von Merck, nicht mehr die einzige weibliche CEO an der Spitze eines börsennotierten Top-Unternehmens.
Als historisch ist auch ihre Rede bei der Merck-Hauptversammlung zu bezeichnen. Sie sprach als erste Frau bei einer DAX40-Hauptversammlung. Ihr muss klar gewesen sein, dass in diesem Jahr bei der Hauptversammlung von Merck nicht nur auf die Zahlen geschaut würde. Schon im Vorfeld war thematisiert worden, dass erstmals eine Frau den Darmstädter Multikonzern anführen und auf der Hauptversammlung repräsentieren würde. Jeder neue CEO steht bei seiner ersten HV unter besonderer Beobachtung, eine Frau umso mehr. Das ist so. Auch in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Belén Garijo war keine Nervosität anzumerken. Ihre feste Stimme, das Rede-Temperament waren trotz der Simultanübersetzunge hör- und spürbar. Mercks neue CEO trat auf, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Souverän. Intelligent. Mit eigenem Stil.
(K)eine Quotenfrau
Ist es ein weiblicher Stil? Garijo würde eine solche Frage wahrscheinlich nerven. Schon kurz nach ihrer Berufung sagte sie, die gegen eine Frauenquote ist: „Ich sehe mich nicht als weiblichen CEO. Ich bin CEO. Fertig.“ Und dennoch: In ihrer auf Englisch gehaltenen Rede zeigt Garijo Mut zur Haltung, Mut zur Empathie. Sie scheut nicht zurück vor starken Worten. Den Krieg der Russen gegen die Ukraine verurteilt sie scharf, die Bilder zu sehen nennt sie „unerträglich“. Oft spricht sie von den Leistungen der unterschiedlichen Teams. Teamorientiert gibt sie sich auch zum Schluss: Alle Mitglieder des Vorstandes werden in die Beantwortung des Aktionärsfragen einbezogen. Jeder hat seinen Auftritt. Doch nie kommt Zweifel auf, wer die Nummer eins ist. Zur funktionalen gesellt sich die personale Autorität – mit charmantem Lächeln, wo es passt.
Garijo nimmt die Rolle der CEO eines weltumspannenden, deutschen Traditionsunternehmens mit spürbarer Freude und wohltuendem Selbstverständnis an. Dass sie sich schon früh gegen die gesetzlich verordnete Quote ausgesprochen hatte, mag einige frohlocken lassen. Aber sie sollten sich nicht täuschen lassen: Garijo hat auch angekündigt, sich für mehr Frauen in Führungspositionen einzusetzen. Und für Diversifizierung im Allgemeinen. Irgendwer sagte einmal, dass Garijo Madeleine Albright geschätzt habe. Und die sagte: „Es gibt einen speziellen Platz in der Hölle für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen.“
Nachhaltigkeit weiblicher Führungskräfte
Bei aller Freude über die langsam zunehmende Berufung von Frauen in die Führungsetagen der deutschen Großkonzerne, macht es schon nachdenklich, dass überhaupt auf diese Tatsache hingewiesen werden muss.
So betont Munich Re-Vorstandsvorsitzender Joachim Wenning unter dem Stichwort „nachhaltiges Handeln“, dass man sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetze. Bis 2025 strebe man einen Anteil von 40 Prozent an. Derzeit liegt der Anteil bei 38 Prozent. Eine deutliche Steigerung des Frauenanteils sieht irgendwie anders aus – vor allem bei der Besetzung der Vorstandsposten. Bislang ist Doris Höpke die einzige Frau im Munich Re-Vorstand. Schön, dass zumindest die ausscheidende Arbeitsdirektorin und Vorstandsmitglied eine Nachfolgerin bekommen soll. Allerdings liegt die Munic Re damit im Trend: Zum 1. Januar 2022 waren 13,4 Prozent der Vorstandsmitglieder in den 160 Dax-Unternehmen weiblich. Doch die Hälfte der Unternehmen hat weiterhin keine Managerin in ihrer Topetage.
Krisenkommunikation: Gesichtswahrend verhandeln
Dabei zeigen gerade die schwierigen Zeiten, die wir derzeit erleben, wie wichtig weibliche Kommunikation an Führungspositionen ist. Immer stärker kommt es auf Verhandlungsgeschick an, um widerstrebende Interessen unter einen Hut zu bringen. Die oft konjunktivische Kommunikation von Frauen, die ihnen vor allem in den 1990er Jahren regelrecht zum Vorwurf gemacht oder ausgetrieben wurde, stellt sich in diesen Situationen als Pfund heraus. Konjunktive helfen, die Tür offenzuhalten, wenn eine Verhandlung stockt. Sie zwingen niemanden, demütig an eine Tür zu klopfen, die zuvor im Furor zugeworfen wurde. So kann gesichtswahrend verhandelt werden. Und niemand möge sich täuschen: Verhandlungen unter diesen Vorzeichen sind oft härter als jene, die bereits als pure Machtdemonstration beginnen. Die vermeintliche Schwäche der Frauen – sich durch weiche Formulierungen auszudrücken – wird zur stärksten Waffe in der Konfliktlösung. Männer geben heutzutage Unsummen aus, um diese Verhandlungstechniken in Schulungen zu lernen.
Der Weg, der vor den Frauen liegt, ist noch lang, sehr lang. Aber er ist mittlerweile weniger steinig.