Vertip(p)t?

Sarah Hurwitz, Nordiske Mediedager 2017copyright: Thor Brødreskift / Nordiske Mediedager, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Die US-Redenschreiberin Sarah Hurwitz hat für die Obamas getextet. Und jüngst den deutschen Vogue-Leser*innen elf Tipps mit auf den Weg gegeben, die es zu beherzigen gelte, wenn eine Rede richtig gut werden soll. Aber: Nicht in allen Punkten sollte man ihr folgen. Manches verdient einen genaueren Blick. In loser Folge kommentiere ich hier die Anregungen von Sarah Hurwitz.

Der erste Tipp der Profi-Regenschreiberin klingt so einfach wie einleuchtend. Aber Vorsicht: Er hat seine Tücken! Hurwitz sagt:

„Die wahre Kunst des Redenschreibens besteht nicht darin, ein Skript für jemanden zu schreiben, sondern darin, sich in seine/ihre Stimme zu versetzen. Mein erster Schritt beim Schreiben einer Rede für Mrs. Obama war immer, mich mit ihr hinzusetzen und sie zu fragen: „Was wollen Sie sagen?“ Sie weiß, wer sie ist, und weiß immer, was sie sagen möchte. Zudem ist sie von Natur aus eine begabte Rednerin und Schriftstellerin, also transkribiere ich, was sie erzählt – als Grundlage für den ersten Entwurf.“

Hier werden zwei eigentlich recht verschiedene Aspekte zur selben Zeit angesprochen: Stimme und Inhalt. Zuerst zur Stimme. Hier geht es darum, die Redner*innen-Stimme schon beim Schreiben sozusagen vor dem geistigen Ohr zu haben. Also: einen bestimmten Klang, einen Tonfall, vielleicht auch eine bestimmte Färbung durch einen Dialekt. Das ist in der Tat sehr wichtig. Aber wie genau macht man das? Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass man dazu eine Anleitung geben kann. Das „geistige Ohr“ ist eher eine Art von Einfühlung und Intuition. „Versetzen Sie sich in die Stimme des Redners oder der Rednerin“ – das ist also nicht wirklich ein Tipp, der Ihnen weiterhilft, wenn Sie darin nicht ohnehin schon gut sind.

Inhalt ist noch keine Botschaft

Punkt 2, der Inhalt: Sarah Hurwitz sagt: Das Schreiben beginnt mit der Frage an die Rednerin: „Was wollen Sie sagen?“ Hier geht es also nicht um den Tonfall und die Stimme, nicht um ein „Wie“, sondern um ein „Was“. Es geht um den Inhalt. Aber was genau ist der Inhalt? Wenn ich einen Redner oder eine Rednerin vor einer Rede frage: „Was wollen Sie sagen?“, dann bekomme ich je nach Naturell und Organisationsgrad entweder einen halbstündigen Monolog über alle möglichen Dinge, von denen „die Rede sein“ soll oder ich bekomme von der Presseabteilung eine ebenso lange Liste von Inhalten oder den Link zu einer PowerPoint-Präsentation.

Sprich: Ich bekomme eine Zutatenliste – wie beim Backen: all das muss rein in die Rede.  Denn das ist der Inhalt. Was ich aber eigentlich wissen muss, ist: Was ist die Botschaft? Warum wollen Sie diese Rede halten? Und was sollen die Zuhörer im Anschluss denken und vor allem fühlen – im Unterschied zu ihren Gedanken und Gefühlen vor der Rede?

Nun kann Michelle Obama genau diese Frage vielleicht beantworten, weil sie selbst „eine begabte Rednerin und Schriftstellerin“ ist. Aber diejenigen, die das eben nicht sind und aus genau diesem Grund einen Redenschreiber engagieren, können gerade diese Frage oftmals nicht beantworten.

Redenschreiben bedeutet Übersetzen und Deuten

„Inventio und Intellectio“ – im Altertum hießen so die beiden ersten Produktionsstadien einer Rede. Und sie zählen zu den schwierigsten. Denn es geht hier zum einen um Abstraktion, zum anderen um Interpretation. Was steckt als Thema hinter all den Einzelaspekten, hinter dem Inhalt. Und was bedeutet das alles für mein Publikum? Warum sollte es sich dafür interessieren? Was habe ich als Redner-in anzubieten?

„Yes we can“ – das ist eine Botschaft! Aber die erfährt man nicht, indem man Barack Obama befragt und transkribiert, was er sagt. Geschweige denn, wenn man als Redenschreiber einen Chemiker, einen Ingenieur oder Betriebswirt in CEO-Funktion befragt: Zu dieser Botschaft gelangt man, weil man aus den gelieferten Inhalten als Redenschreiber-in etwas destilliert; weil man das Geschäft der Textinterpretation erlernt hat und ermitteln kann: Was steckt hinter den Inhalten? Worum geht es hier eigentlich? Und wenn man es herausgefunden hat, gilt es noch die richtigen Worte dafür zu finden. Also: Der Weg ist etwas weiter – jedenfalls, wenn die Auftraggeber nicht Obama heißen!

 

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