Es gibt Reden, die einen besonders fordern. In denen jedes Wort sitzen muss, obwohl man weiß, dass dies eigentlich unmöglich ist. Vor allem dann, wenn es darum geht, Worte für das zu finden, was unaussprechlich scheint und über das doch gerade heute mehr denn je gesprochen werden muss. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier leitete mit seinen Worten am 18. Januar 2022 die Vorführung von Matti Geschonnecks filmischem Kammerspiel „Wannseekonferenz“ ein. Seine Rede wurde zu einer Reflexion über die Sprache und deren Wirkung als Werkzeug. Beeindruckend und bedrückend. Und in der letzten Konsequenz bis heute bedrohlich.
Schon beim Einstieg kommt der Bundespräsident, der das Verstörende des Films hervorhebt, auf die Wirkung der Worte zu sprechen, die in den Protokollen zur Wannseekonferenz präzise dokumentiert sind und die Basis der Dialoge darstellen: „Was mit Unbehagen beginnt, wird zum Entsetzen, so jedenfalls erging es mir; ein Entsetzen, das noch anhält, wenn der Abspann lange vorbei und der Bildschirm schwarz geworden ist. Wer dann – wie wir heute – aus dem Kino auf die Straße tritt oder im Fernsehen die Nachrichtensendung im Anschluss ansieht, der bemerkt: Für einen irritierend langen Augenblick kommt einem die eigene, vertraute Sprache unvertraut vor. Man misstraut ihr. Es beunruhigt, dass das Verwaltungsdeutsch, das im Film gesprochen wird, sich derselben Worte bedient, die man auch im Hier und Jetzt, auf der Straße oder im Fernsehen hört.“
Die Banalität des Bösen
Steinmeier spürt dem nach. Er sucht die Erklärung, warum die Sprache der Protagonisten Unbehagen und Misstrauen erzeugt. Und er findet sie – auch mit Hilfe von Hannah Arendt. „Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich – abgesehen vom Inhalt der Besprechung – in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt. Es ist eben das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert. Was Geschonneck gelingt, ist eine Inszenierung der Banalität des Bösen.“
Die Banalität des Bösen – Arendt hatte diesen Begriff geprägt, aus ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses. Steinmeier: „Wie konnte die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus so perfekt funktionieren? Und was bedeutet persönliche Verantwortung in einer Diktatur? Das war ein, das war vielleicht das Lebensthema von Hannah Arendt. Sie zeigt, dass totalitäre Systeme nicht allein mit dem absolut Bösen paktieren, nicht allein von Dämonen und Monstern getrieben werden, sondern dass in diesen Systemen so viele kleine Rädchen ineinandergreifen, bis die Verantwortung des Einzelnen unkenntlich geworden ist und kein Unrechtsbewusstsein mehr existiert.“
Wenn die Sprache zum Mordwerkzeug wird
Es war die Sprache, die es den handelnden Personen ermöglichte, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu planen und dabei gleichzeitig das Gewissen auszuschalten. Laut Steinmeier wird die Sprache im Film „selbst zu einem Mordwerkzeug […]. Sie dient gleichermaßen der Abstrahierung wie der Verschleierung des eigentlichen Vorhabens“. Der Bundespräsident stimmt dem Rechtshistoriker Hans-Christian Jasch zu: Dadurch wurde der Völkermord „administrativ kommunizierbar“ und damit auf diese Weise „für die Verwaltung handhabbar“.
Sind wir davor heute gefeit? Als Redenschreiberinnen und Redenschreiber kennen wir den Hang von Auftraggebern, sich eher abstrakt denn konkret ausdrücken zu wollen. Das geschieht natürlich nicht immer in böser Absicht, sondern ist fast immer dem Irrglauben geschuldet, es handele sich dabei um einen Ausdruck von Intellektualität und notwendiger Sachlichkeit. Manchmal ist sie Ausdruck der eigenen Unsicherheit, der Angst, sich festzulegen. Manchmal ist die Verschleierung gewollt. Was dabei oft übersehen wird: Eine solche Sprache entbehrt in der Regel der Empathie. Sie erreicht weder die, an die sie gerichtet ist, noch zwingt sie diejenigen, die sie nutzen, für alle erkennbar Haltung zu beziehen. Haltung, die jedoch notwendig ist, um die Motivation hinter Worten zu erspüren. Ohne die keine belastbare Verbindung und kein Vertrauen aufgebaut werden kann, für das nicht immer inhaltliche Übereinstimmung nötig ist, aber stets Respekt. Wie wir reden, wirkt nicht nur auf das aktuelle Auditorium, sondern letztendlich auf die Gesellschaft. Es ist beileibe nicht nur eine offensichtlich verächtliche und polarisierende Rhetorik, die zur Spaltung führt. Es ist auch eine Sprache, die Mitgefühl und Verständnis konsequent eliminiert. Die jede Achtsamkeit vermissen lässt.
Redenschreiber in der Verantwortung
Hier ist es an uns, aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen. Denn wir sind nicht nur Lieferanten wohlgesetzter Worte, sondern als Experten für Sprache auch immer beratend tätig. Vor allem dann, wenn wir merken, dass Sprache in eine falsche, eine inhumane Richtung führt. Wenn dies unbeabsichtigt passiert und erst recht, wenn wir das Gefühl haben, dass die wahren Beweggründe verschleiert werden sollen. Die Shoa ist mit nichts zu vergleichen. Aber die Lehren, die wir aus ihr ziehen, verpflichten uns, aufmerksam zu sein und uns zu hinterfragen. Im täglichen Leben. Jeden und jede. Immer und immer wieder. Denn auch für unsere Profession gilt, was der Bundespräsident zum Abschluss seiner Rede Beamtinnen und Beamten zurief: „Seien wir keine Niemande. Scheuen wir die Verantwortung nicht. Auch nicht die, Nein zu sagen, wo es Recht und Mitmenschlichkeit gebieten.“ Oder dort, wo wir diese in Gefahr sehen.