Überzeugend, interessant, gekonnt. Mit Botschaften, die „ins Ohr“ gehen, inspirieren und zum Handeln auffordern. So eine gelungene Rede hörte ich am 5. März 2024 von Eliza Reid, Journalistin, Autorin, Unternehmensgründerin, Rednerin und – seit 2016 First Lady von Island. Die gebürtige Kanadierin, laut Eigendefinition ein „Landei aus Ontario“, war der Liebe wegen vor vielen Jahren nach Island eingewandert. Ihr Ehemann ist der (unabhängige) Historiker Guðni Thorlacius Jóhannesson, Präsident seit 2016. MUT. MACHT. VERÄNDERUNGEN lautete die ganztägige Veranstaltung, zu der Österreichs First Lady Doris Schmidauer und Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Weltfrauentages in die Wiener Hofburg eingeladen hatten. Natürlich ging es um Gendergerechtigkeit. Meine Erwartung war zunächst gedämpft. Würden wir mehr zu hören bekommen als „das Übliche“ zum Frauentag?
A Storytelling Nation
Eliza Reid präsentierte ihre Keynote eloquent. Keine Stehsätze, keine Allgemeinplätze. Gleich zu Beginn eine Bemerkung, die sofort hellhörig machte: „As you know, I am from Iceland. We are very proud that Iceland is a storytelling nation …“ Ein Land der Geschichtenerzähler? Eine nationale Lust am Erzählen? Das Interesse war geweckt.
Die Rede begann und endete „klassisch“ mit einer „story“, dazwischen eine kurze, prägnante Skizze, wie es dazu kam, dass Island zu einem guten Ort für Frauen wurde, ein oft zitiertes Musterland der Gleichstellung. Eliza Reid erinnerte zu Beginn an den 24. Oktober des Jahres 1975, als es Islands Frauen endgültig leid waren, wie überall auf der Welt beruflich-gesellschaftlich-politisch diskriminiert zu werden. Nein, kein Streik. Die Frauen organisierten einen freien Tag, einen großflächigen „Frauenruhetag“. Sie erschienen nicht zur Arbeit, hoben die Telefone nicht mehr ab, fingen keine Fische, verkauften und kauften nichts, putzten und kochten nicht, überließen den Männern die Kinder und den Haushalt. Island erlebte einen „shut down“. Danach war das Land nicht mehr dasselbe. Mann hatte endlich verstanden.
5 Jahre später, 1980, wurde in Island das weltweit erste weibliche Staatsoberhaupt gewählt. Vigdís Finnbogadóttir, geschieden, Alleinerzieherin, Staatspräsidentin von 1980 bis 1996. Im Jahr 2009 staunte Europa über Island und seine erste, offen lesbische Regierungschefin. Seit nunmehr 14 Jahren ist der kleine Inselstaat auch ununterbrochen auf Platz 1 der Liste jener Länder, die am erfolgreichsten die Gleichberechtigung vorantreiben (Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums). Und – Island hat heute dank seiner kinderfreundlichen Politik und Gesetzgebung eine der höchsten Geburtenraten in Europa.
Was ist das Geheimnis dahinter? First Lady Eliza Reid platzierte ihre Botschaften kurz und knapp:
- Erfolg ist das Ergebnis „konzentrierter Anstrengungen“. Die Vorreiterrolle sei kein Zufall, sondern das Ergebnis „konzentrierter Anstrengungen“ der unterschiedlichsten Kräfte in Politik und Zivilgesellschaft. Die Bemühungen seien – und das war Eliza Reid wichtig zu betonen – keineswegs ein „Null-Summen-Spiel“, wo den einen (Frauen) etwas gegeben, und den anderen (Männern) etwas weggenommen wird. Island setzt konsequent auf die Einsicht, dass Gleichberechtigung und Chancengleichheit letztlich allen zugute kommt. Es ist also ebenfalls kein Zufall, dass im World Happiness Report der Vereinten Nationen Island ständig weit vorne zu finden ist (2024 Platz 3). Gerechtigkeit schafft messbare Zufriedenheit.
- „But I ask: Is good enough really good enough?“ Alles bestens? Mitnichten. Stolz sein, ja! Ausruhen? Nein!
Für Gleichberechtigung kann es keine definierte Ziellinie geben. Eliza Reid warnt vor der Gefahr der Selbstzufriedenheit und des Gefühls: Oh, „it’s good enough!“. Ich höre das in Österreich auch immer wieder: („Ist nicht eh schon genug Gleichberechtigung passiert? Was denn noch?“). Immer wieder wird in Island trotz aller Fortschritte weitergekämpft, protestiert, gefordert, verbessert (z.B. mehr Frauen in Spitzenpositionen von Unternehmen). - „I Dare, I Can, I will.” Eliza Reid endet mit einem kurzen Video über einen neuerlichen Protest am 24. Oktober 2023, in Erinnerung an die zu Beginn beschriebene legendäre große Frauenkundgebung des Jahres 1975. Dieses Mal ging es u. a. gegengeschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt, die Festschreibung der Rechte von Transmenschen und um eine neue Definition von „Männlichkeit“ in der Gesellschaft. Die First Lady solidarisierte sich ebenso wie die isländische Ministerpräsidentin. Das gesungene Mantra in den Straßen Islands: „I Dare, I can, I will!“
- Kämpfen, nicht aufgeben, einander stärken, vorwärts gehen. Am nachhaltigsten waren die Passagen über die SPRAKKAR. Das, so erklärt Eliza Reid, sei eine uralte Bezeichnung für kämpferische, außergewöhnliche isländische Frauen (Singular: sprakki). Sie bzw. ihre Unterstützer kommen aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten, Regionen, Altersgruppen, Berufen. Sie sind keine Changemaker, Role-models oder ausgewiesene Feministinnen. Sie sind einfach Menschen, die an Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness glauben und diese täglich leben. Unbeirrt und nach ihren jeweiligen Möglichkeiten. Sprakkar (Aussprache SPRAH-kar), so die Rednerin, sei zwar ein altes isländisches Wort, aber die Haltung dahinter sei universell: Kämpfen, nicht aufgeben, einander stärken, vorwärts gehen. Frauenrechte sind Menschenrechte. Und das war denn auch die Hauptbotschaft der First Lady: Jeder Mensch kann eine SPRAKKI sein und an einer gerechteren Gesellschaft mitwirken.
- Ein Wort. Eine klare Botschaft. Die kleine, subarktische, europäische Insel Island und ihre Frauen gingen mir nach dieser kurzen Rede nicht mehr aus dem Sinn. SPRAKKI. Klingt ziemlich spröd, aber auch erdig, kräftig, pointiert, kämpferisch, inspirierend. Ich habe es nach Wien importiert. Es hilft wirklich gegen Kampfes-Müdigkeit!
Rede von Eliza Reid am 5. März 2024 in Wien
As you know, I am from Iceland. We are very proud that Iceland is a storytelling nation and so I am going to begin my remarks with a short story. It’s a story about the day in 1975 when my nation’s women took the day off:
As a gesture towards recognizing equality, the United Nations dedicated the year 1975 to women. That year, women made up just five percent of Iceland’s members of parliament. Women who worked outside the home earned sixty percent of what men earned.
To prove exactly how vital their contributions were, the women of Iceland decided to take a day off. Note that they called it a day off rather than a strike in order to appeal to a broader range of people to take part. Ninety percent of the nation’s women are estimated to have taken part in the protest on October 24, 1975. Those women who worked at home or on the farm took leave from childcare, cleaning, or meal preparation that day. Those who worked outside the home did not show up to their jobs. Even women on fishing vessels stayed in their bunks, some of them sending telegrams of support to their sisters back on land.
And can you guess what happened? Yes, the country shut down: Elementary schools were closed. Preschools were closed. There was no telephone service. Bank managers filled in for female tellers at the bank. Flights were delayed. Hot dogs sold out in the stores as fathers struggled to find things to prepare for their children. Meanwhile, 25,000 women buoyantly gathered in the center of Reykjavík (that’s over ten percent of Iceland’s entire population at that time).
The day generated waves within society. It galvanized the population to know that we all make a difference. Within a few years in fact, Iceland had elected the world’s first democratically-elected female head of state – and she served in that role for sixteen years. Now, our parliament is 47.5 % women, and for 14 years the World Economic Forum has said that we are the nation closest to closing the gender gap … though we are not there yet.
It’s important to note that this result did not come from happenstance. It came from deliberate and concerted effort on the parts of public and private sectors, and members of society overall. And this happened because we know that working towards achieving greater gender equality is not a zero-sum game where something is given to one group at the expense of another. Greater equality is something that benefits everyone, of all genders.
Companies that are more gender equal – and more diverse overall – make more money. Societies that are more gender equal are more peaceful and have happier and longer-living populations. And perhaps for us in Iceland what has helped most is that, for most of us, we have passed the tipping point of debating whether or not trying to work towards greater equality is important, but how we are going to get there.
And how are we going to get there?
Well, there are official laws and policies that help to speed up the process and level the playing field for everyone: In Iceland, parental leave is paid for by the government on what is colloquially called a “use it or lose it” basis: The amount granted are always changing, but right now it’s roughly that each parent can take six months of paid leave. This means that the default for looking after children does not fall to a mother. And in fact Iceland has the highest female participation in the work force of the OECD countries – as well as one of the highest birth rates in Europe.
What happens when parents go back to work? Then a heavily-subsidized system of child-care takes over until children start compulsory education at the age of six.
In addition to these family policies, Iceland has the world’s first law requiring companies to prove they provide equal pay for equal work. There is also a law requiring the boards of publicly traded companies to have gender balance.
Now before you think Iceland is a gender paradise, I also want to emphasize that we have a lot of work left to do: Despite these laws affecting boards and equal pay, we still have woefully few women running publicly traded companies. We do not see enough investment in women-led companies or women investors. We also need to focus more on the intersectionality of equality: Equality is not for one elite group of people. If we do not take into account the unique challenges of queer women, women of colour, non-binary women, women with disabilities, women of foreign origin, and various other groups, if we do not ensure these people have a seat at the table too, then we cannot succeed in our objectives.
Perhaps most importantly – we need to eradicate gender-based and intimate-partner violence if we are to be serious about achieving equality. We have these challenges in Iceland too, of course, and we cannot claim to have closed the gap while people live in fear of their personal safety and security simply because of their gender.
I would also like to highlight the danger of what I call “good enough”: We are fortunate in Iceland to live in a peaceful, happy, high-income country with a high standard of living. Many of you in this room also do. And now sometimes I meet people who do not think the fight for greater equality applies to them. They got a good education, they have a job they wanted, they feel safe on the streets and in their homes. They are busy people. And things really are “good enough” for them.
But I ask: “Is good enough really good enough?”
Is it good enough if a woman works full-time in a paid job and then returns home to take on the lion’s share of household and family coordination? Is it good enough if a woman in a public role endures far more abuse online and in social media for expressing her opinions? Is it good enough if some men feel they don’t have a place in a society that rewards a fairly narrow definition of what a “real man” should be? Is it good enough if non-binary people feel as if their rights are constantly being chiselled away? I don’t think so.
So, yes, there is a lot of work left to do. But I am an optimist. And perhaps that is the most important message I want to leave you with today: The role that each and every one of us has to play in making the world a more equitable place. It’s true that elected officials perhaps have the budgets or the reach or the legal frameworks to change things. It’s true that many of the most egregious violations of human rights occur in places we might consider to be far away from us, and therefore douse us in the privilege of pretending we are too distant to make a difference. But each of us is a role model in our own environments: with our families, our friends, our places of work, our places of worship. And this influence ripples beyond our own borders. It is up to us to follow our dreams, to speak up when we see injustice, to help lift up others’ voices, and to be a positive inspiration and support for one another.
As you may know, a couple of years ago I wrote a book about the women of Iceland. It’s called Secrets of the Sprakkar: sprakkar is an ancient Icelandic word that means “extraordinary women”. And the book features several dozen “Sprakkar” – they are not the most famous women in Iceland or necessarily the first to do something. They include a football player, a search and rescue volunteer, a farmer, an entrepreneur, a small-town mayor, and a comedian. They are regular women who do not necessarily consider themselves activists or changemakers or even feminists. But they are living their authentic lives. And at the risk of ruining the ending of the book for you: the word “sprakkar” may be an Icelandic word but it is not a uniquely Icelandic concept. There are outstanding women everywhere, including a great many of you here in this room (and to you men here: you are sprakkar allies!).
A small coda to my first story: Last October, we went on strike again. Things still aren’t equal after all! This time the focus was on gender-based violence and both women and non-binary people were encouraged to take part. Here is a short video from that day (we were lucky with the weather too!).
The song they are singing in the video is called “I Dare, I Can, I will” a sort of mantra for the equality movement in Iceland. On this important occasion, International Women’s Day, let’s all think about what we dare to do, what role we can each play, and what we will do to work towards a better world for everyone.
Thank you, and happy International Women’s Day
Das aktuelle Buch von Eliza Reid „DAS GEHEIMNIS DER SPRAKKAR – Isländische Frauen und wie sie die Welt verändern“ ist absolut lesenswert. Schon allein die Biografie der First Lady ist ungewöhnlich, ebenso spannend sind ihre Schilderungen von einzelnen SPRAKKI. Aus dem Englischen von Henriette Zeltner-Shane Originaltitel: Secrets of the Sprakkar: Iceland’s Extraordinary Women and How They Are Changing the World ISBN: 978-3-442-76233-0