Rhetor statt Terminator: Schwarzeneggers Rede an die Menschen in Russland

Arnold Schwarzenegger während seiner Videobotschaft an die Menschen in Russland (Quelle: YouTube)

In den zurückliegenden Wochen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass unsere Welt zurzeit nur einen großen Redner kennt: den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Gestern musste ich feststellen: Es gibt noch einen zweiten. Und zwar einen, von dem ich es nie erwartet hätte: Arnold Schwarzenegger. 

Als Schauspieler konnte er mich nie so recht überzeugen. Als Gouverneur von Kalifornien schon mehr. Als Redner in seiner aktuellen Videobotschaft liege ich ihm mit Bewunderung zu Füßen. Seine Rede ans russische Volk ist ein Meisterstück strategischer Kommunikation. Inmitten einer hochexplosiven Gemengelage wendet sich Schwarzenegger an seine russischen Fans – seine „dear Russian friends“ – und an russische Soldaten, die aktuell in der Ukraine dienen müssen. Arnie als Rhetor statt als Terminator. Diese Rolle steht ihm gut zu Gesicht. Seine Rede bewegt und berührt. Ihre handwerkliche Brillanz lässt den Redenschreiber in mir jubilieren. 

Was macht Schwarzeneggers Rede so überzeugend?

Das Ziel seiner Videobotschaft spricht Schwarzenegger offen an: die Propaganda zu durchbrechen und die Wahrheit zu nennen, die der Kreml von der russischen Bevölkerung und den Soldaten fernhält. Dafür greift Schwarzenegger tief in die Trickkiste der Überzeugungskunst, dass Aristoteles, Cicero und andere große Rhetoriker ihre helle Freude an ihm gehabt hätten. Ethos, Logos, Pathos – alles wird gekonnt bespielt. Stilmittel wie Anaphern unterstreichen wirkungsvoll seine Botschaften. Geschichten, Zahlen, Bilder und Video-Einspieler belegen Schwarzeneggers Aussagen und sorgen zugleich dafür, dass er nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer erreicht. Und auch die Struktur ist gekonnt gewebt: mit einem sehr persönlichen Einstieg, einem Mittelteil, in dem sich Faktenchecks und die emotionale Ansprache des Publikums abwechseln, einer Handlungsaufforderung (genau genommen sogar zwei: eine an die Menschen in Russland, eine an den Kreml) und einem Schluss, der gekonnt den Bogen zum Anfang schlägt. Kurz: Ein wahres Meisterstück einer Rede. 

Detaillierte Analyse

Intro: Storytelling und Glaubwürdigkeit des Redners

Taktisch klug startet Schwarzenegger mit einer Geschichte aus seiner Kindheit: Er erzählt von seiner Begeisterung als 14-Jähriger für den russischen Gewichtheber Yuri Petrovich Vlasov, dem er nach einem Sportevent in Wien die Hand schütteln durfte. Er erzählt die Geschichte sehr anschaulich und detailreich, wenn er von der großen Hand von Vlasov erzählt, die seine schmächtige Hand „verschlungen“ habe. Damit lässt er nicht nur Bilder in den Köpfen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer entstehen. Damit spielt er auch auf die Kraft des Russen an, betont aber zugleich, wie freundlich er war. Yuri Vlasov wird so zum Inbegriff des Russen, wie Schwarzenegger ihn sieht:

„The strength and the heart of the Russian people have always inspired me.“ 

Schwarzenegger belässt es nicht nur bei dieser Geschichte. Er erwähnt auch, dass er im Film mitgespielt hat, der als erster US-Film überhaupt eine Dreherlaubnis auf dem Roten Platz in Moskau erhalten hat. Außerdem hält er eine Porzellantasse in die Kamera, die ihm Yuri Vlasov geschenkt hat und aus der Schwarzenegger nach eigenem Bekunden jeden Tag seinen Kaffee trinkt.   

Mit alldem drückt der US-Schauspieler und Politiker sehr glaubwürdig seine Sympathie für das russische Volk aus. Indem er deutlich macht, dass er den russischen Gewichtheber sogar gegen den Widerstand seines russlandkritischen Vaters weiter verehrt hat, dürfte er unter den Adressaten der Videobotschaft die letzten Zweifel ausräumen, dass seine Sympathiebekundung nicht ehrlich sei. 

Überleitung: Legitimation des Anliegens des Redners

Nach diesem persönlichen Intro kommt Schwarzenegger auf die Propaganda des Kreml zu sprechen. Dabei greift er wie in einem Dialog (eine gute Rede ist immer Dialog) geschickt einen zentralen Einwand der Zuhörerinnen und Zuhörer auf: Er räumt ein, dass niemand gerne Kritik an der eigenen Regierung höre. Er drückt seine Hoffnung aus, dass sie ihm als Freund der Russen hoffentlich zugestanden wird. Mehr noch: Schwarzenegger legt argumentativ nach und erinnert daran, dass er sich im Kontext der Erstürmung des U.S. Capitol 2021 in ganz ähnlicher Weise an das amerikanische Volk gewandt habe. Dadurch zeigt er, dass er sich von einem klaren moralischen Kompass leiten lässt und Kritik anbringt, ganz gleich wer der Adressat ist.

Hauptteil: überzeugende Argumente, starke Bilder, prägnante Formulierungen   

Nach dieser Vorrede nimmt Schwarzenegger die Lügen des Kreml auseinander: Der Kreml spräche davon, die Ukraine zu entnazifizieren. Er hält dem entgegen, dass der Präsident Jude sei und dessen drei Onkel von Nazis umgebracht worden seien. Bei alledem nennt Schwarzenegger Putin nicht beim Namen, er zeigt ihn aber in Videos, die während seiner Rede eingespielt werden. Schwarzenegger erläutert den Russen, wie gering der internationale Rückhalt für Russland ist. Mit Bildern und Videos führt er ihnen die Grausamkeit und Zerstörungswut des Krieges vor Augen. 

Anschließend kommt Schwarzenegger auf die Konsequenzen des Krieges für Russland zu sprechen. Er eröffnet den Zuhörerinnen und Zuhörern, dass bereits Tausende von russischen Soldaten in der Ukraine ihr Leben lassen mussten. Er zeigt Bilder von zurückgelassenen oder zerstörten Kriegsgeräten. Er zählt die ganzen Lügen auf, die den russischen Kämpfern erzählt worden sind. Dabei zieht er gekonnt die Parallele zu seinem Vater, dem im Zweiten Weltkrieg ebenfalls Lügen aufgetischt worden seien. Sein Vater habe in Leningrad gekämpft und Zeit seines Lebens unter den physischen und seelischen Folgen des Krieges gelitten. Schwarzenegger wünscht den russischen Soldaten ausdrücklich, dass es ihnen nicht genauso ergehe wie seinem Vater. 

In diesem Teil seiner Rede nutzt Schwarzenegger starke Formulierungen – beispielsweise um auszudrücken, wie wenig ein Krieg wie dieser in unsere Zeit passt: „When I see babies being pulled out of ruins, I think that I’m watching a documentary about the horrors of the Second World War, not the news of today.“ Auch erinnert Schwarzenegger daran, dass 11 Millionen Russen familiäre Bindungen in die Ukraine haben:

„So every bullet you shoot, you shoot a brother or a sister. Every bomb or every shell that falls is falling not on an enemy, but on a school or a hospital or a home.“

Handlungsaufforderung: Konkrete Erwartungen an die Adressaten der Videobotschaft

Nach dieser Demontage des durch den Kreml errichteten Lügengebäudes geht Schwarzenegger zum Appell über: Er bittet alle Russen, die Propaganda ihrer Regierung als solche zu entlarven und die Wahrheit zu verbreiten. Es folgt ein zweiter Appell an Putin, den Krieg zu beenden: „You started this war. You are leading this war. You can stop this war.“ 

Schluss: Ermutigung zum Widerstand

Schwarzenegger beendet seine Rede mit einer Würdigung der Anti-Kriegs-Demonstranten in Russland: Sie seien seine neuen Helden. „You have the strenght of Yuri Petrovich Vlasov. You have the true heart of Russia.” Damit schlägt der ehemalige Gouverneur Kaliforniens elegant den Bogen zum Beginn seiner Rede und drückt erneut seine große Bewunderung fürs russische Volk aus. Indem er die russischen Demonstranten mit dem Gewichtheber Vlasov vergleicht, gibt er den Unentschlossenen unter seinen Zuhörerinnen und Zuhörern zugleich Vorbilder, zu denen sie aufschauen und denen sie im besten Fall nacheifern können. 

Worte mit Wirkung

Arnold Schwarzeneggers Videobotschaft enthält wichtige Botschaften an das russische Volk. Man kann nur hoffen, dass sie von vielen gesehen und geteilt wird. Dass sie dazu beiträgt, die Wahrheit zu verbreiten. Und dass sie die russischen Bürgerinnen und Bürger im Widerstand gegenüber ihrer Regierung ermutigt, um so den Kreml vielleicht doch noch zur Beendigung des Krieges zu bewegen. Was diese Rede tatsächlich auszulösen vermag, muss sich erst noch zeigen. Meine Bewunderung für das Redetalent Schwarzeneggers wird bleiben. 

6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Christian Gasche
    18. März 2022 9:06

    Starke Rede von Arni, super Analyse dieses rhetorischen Meisterwerks. Danke 🙂

  • Peter Sprong
    18. März 2022 10:08

    Genau so ist es! Und dann noch diese Stimme dazu… Danke für die treffende Analyse!

  • Danke für diese super Analyse. Sowohl Rede als auch Analyse. Top.

  • Wird hoffentlich in die Riege der besten Reden eingehen. Ich bewundere als Ö welchen Lebenslauf her hingelegt hat und noch immer so tatkräftig unterwegs ist. Danke

  • Wulf-Hinnerk Vauk
    18. März 2022 14:55

    Sehr geehrter Herr Malony,
    herzlichen Dank für Ihre treffende Analyse.
    Beides verdient meinen Respekt, die Rede und Ihre Analyse.
    Ihr
    Wulf-Hinnerk Vauk

  • Winfried Rollmann
    24. März 2022 11:14

    Schwarzi at it’s best!
    Klarheit, Prägnanz und exakt auf den Punkt, wie es uns die Amerikaner in Präsentationen oft vormachen.
    Aber die überragende Botschaft ist die tiefe Empathie und authentische Verbundenheit mit der Schwarzenegger auch kalte Herzen erreicht.
    Meine tiefe Hochachtung.

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