Verbandsmitglieder erinnern an historische Meilensteine der Rhetorik
Berlin/Königswinter, 23.05.2023 – „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“ „Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen.“ Das sind Sätze, die bewegt haben und in Erinnerung geblieben sind. Anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Grundgesetz“ erinnert der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) an besondere politische Reden der vergangenen 75 Jahre – und unterstreicht die Bedeutung von Artikel 5 sowie der freien Rede gestern und heute.
Als Ergebnis einer Umfrage unter den Verbandsmitgliedern sind es diese drei Reden, die seit der Geburtsstunde des Grundgesetzes die meisten beeindruckten: die Regierungserklärung von Willy Brandt am 28. Oktober 1969, die Rede zum 40. Jahrestags des Endes des zweiten Weltkrieges in Europa von Richard Weizsäcker am 8. Mai 1995 und die Berliner Rede von Roman Herzog am 26. April 1997.
VRdS-Präsident Peter Sprong: „Diese drei Reden sind hervorragende Beispiele dafür, wie politische Reden unser Land geprägt haben. Sie transportierten Botschaften, die über den Tag hinausreichten und obendrein von hoher persönlicher Glaubwürdigkeit der Redner geprägt waren.“
Bei der Frage nach den besten Rednerinnen und Rednern der vergangenen 75 Jahre ist das Bild heterogener, ein klares Ranking gibt es hier nicht. Aber die Namen, die am häufigsten genannt wurden, sprechen für sich: Konrad Adenauer, Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Joachim Gauck, Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble. Ein Verbandsmitglied meinte: „Es gab zu allen Zeiten in diesen 75 Jahren und auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) sowie in Ost und West hervorragende Redner:innen.“
Das Grundgesetz-Jubiläum sei ein wichtiger Anlass, um daran zu erinnern, dass unsere Demokratie und das Recht auf eine freie Rede keine Selbstverständlichkeiten seien, so Peter Sprong. „Schon gar nicht dürfen wir dulden, dass sie in der unguten Tradition einer ‚Anti-Rhetorik‘ verächtlich gemacht werden oder ihre Macht den Demagoginnen und Demagogen überlassen.“ Mit jeder Rede müsse die Botschaft mitschwingen: Für überzeugende Rhetorik gibt es keinen besseren Ort als die Demokratie. Das gelte auch und gerade unter den Bedingungen der digitalen Medienwelt:
„In einer Welt, in der wir in Dauerschleife mit knappen Informationen überhäuft werden, sollten Rednerinnen und Redner wieder mehr Mut zum klaren und zugleich differenzierten Argument und auch zu sprachlicher Brillanz haben.“
Bei der Frage nach den besten Rednerinnen und Rednern der aktuellen Bundesregierung wird in der VRdS-Umfrage am häufigsten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck genannt, gefolgt von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius.
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Zur Bedeutung und aktuellen Lage der freien Rede in Deutschland befragte der VRdS außerdem Mitglieder des Deutschen Bundestages. Hier ein Auszug aus den Antworten:
Was bedeutet freie Rede (Art. 5 GG) für Sie persönlich?
Christian Lindner (FDP): „Einen eigenen Gedanken zu haben und die Freiheit und den Mut, ihn zu äußern. All das ist essentiell für unsere Demokratie, denn sie lebt vom Wettbewerb der Meinungen und vom Austausch darüber.“ Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen): „Für mich ist das Parlament, die Herzkammer unserer Demokratie, der zentrale Ort der Debatte. Freie Rede (dort wie anderswo) lebt von Rede und Gegenrede, vom Ringen um die beste Idee.“ Ulrich Lange (CDU): „Die freie Rede ist der Kern unserer freiheitlichen Demokratie. Nur mit der freien Rede kann es politischen Wettstreit geben. Für mich als Bundestagsabgeordneten ist die freie Rede die Grundvoraussetzung dafür, dass ich mein Mandat überhaupt ausüben kann.“
Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen?
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen): „Der beste Schutz ist das nie verstummende Widerwort, die entschlossene Gegenrede. Und zwar laut und vernehmbar als Unterstützung für diejenigen, die den Mut zur Freiheit des Wortes mit ihrer persönlichen Freiheit zahlen müssen.“ Christian Dürr (FDP): „Die Meinungsfreiheit muss durch konsequenten Schutz vor staatlicher, aber auch gesellschaftlicher Zensur und durch Förderung eines offenen Diskurses bewahrt werden. Die jüngsten Angriffe auf Politiker im Wahlkampf, auf Einsatzkräfte und Ehrenamtliche, zeigen, dass wir unsere Demokratie noch entschlossener schützen müssen.“ Heidi Reichinnek (Die Linke): „Wir brauchen eine lebendige Diskussionskultur – eine solche erhalten wir aber nicht, wenn das Recht des Stärkeren regiert.“
Die ausführlichen Antworten der Politikerinnen und Politiker finden Sie hier.
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Hintergrund
Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) ist der Berufsverband der Redenschreiberinnen und Redenschreiber im deutschsprachigen Raum. Er setzt sich im Interesse seiner Mitglieder unter anderem für die öffentliche Anerkennung des Redenschreiberberufs als hoch qualifizierter Dienstleistungsberuf ein. Darüber hinaus fördert er die demokratische Rede- und Debattenkultur.