Stamp rhetorischer Sieger im NRW-Wahlkampf


Berlin, 14. Mai 2022 – Solide in der Pflicht, schwach in der Kür. Auf diesen Nenner lässt sich die qualitative Analyse der Reden der Spitzenkandidaten beim Landtagswahlkampf in NRW durch den Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) bringen. Zum besten Redner kürten die Redenprofis den amtierenden Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten der FDP, Joachim Stamp. Sie untersuchten und bewerteten einzelne oder mehrere Wahlkampfreden, die die Spitzenkandidaten der fünf im NRW-Landtag vertretenen Parteien in den vergangenen Wochen gehalten haben – von CDU, SPD, FDP, AfD und Bündnis 90/Die Grünen. 

„Die Kandidatin der Grünen und die Kandidaten der anderen Parteien lagen im rhetorischen Mittelfeld alle nah beieinander und lieferten solide Leistung in Pflichtkategorien wie Verständlichkeit oder Klarheit in den Botschaften ab“, erläutert VRdS-Analyst Peter Sprong, der die Bewertungen der Analysten koordinierte. „Auch in punkto Auftritts und Inszenierung gab es keine Ausreißer nach unten. Eine herausragende Figur allerdings machte keiner der Kandidaten.“

Stamp: Dynamisch, überzeugend und anschaulich 

Den ersten Platz des Rankings sicherte sich FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp. Grund dafür war vor allem der vergleichsweise dynamische und energiereiche Auftritt. „Stamp hat eine klar strukturierte Rede gehalten, bei der er sich an den drei liberalen Kernthemen Bildung, Freiheit und Wachstum orientierte, persönlich gefärbtes Storytelling einband und anschaulich argumentierte. Auch stimmlich, gestisch und mimisch hinterließ er mit der frei vorgetragenen Rede einen überzeugenden Eindruck, der über gelegentliche Stolpermomente in der Syntax oder einige holprige Übergänge hinwegtröstete“, urteilt VRdS-Analystin Julienne Frenger. Nach Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf 2009 und Christian Lindner (Bundestagswahlen 2017 und 2021) ist Stamp bereits der dritte Sieger aus den Reihen der FDP.

Kutschaty: Sehr anschaulich, aber zu leidenschaftslos 

Dicht auf den Fersen folgt auf Platz zwei Oppositionsführer Thomas Kutschaty von der SPD. Zwar brennt auch er nach dem Urteil von VRdS-Analyst Thomas Kutzner „keine rhetorischen Feuerwerke“ ab. Besser als andere aber ist er darin, durch anschauliches Storytelling und eine verständliche Sprache die Aufmerksamkeit seiner Zuhörerschaft zu gewinnen. „Etwas mehr Leidenschaft und Kampfgeist, rhetorischer Feinschliff und eine zuweilen noch pointiertere Argumentation würden aus dem bislang sehr soliden Auftritt eine rhetorisch überdurchschnittliche Leistung machen“, rät VRdS-Analyst Kutzner.

Wüst: Ordentlich, aber zu unstrukturiert 

Die rhetorische Bronzemedaille verleihen die Redenschreiber Hendrik Wüst, dem amtierenden Ministerpräsidenten und Kandidaten der CDU. „Der Ministerpräsident macht nichts falsch, bleibt aber hinter den Möglichkeiten eines Landesvaters im Krisenmodus zurück. Gemäß dem eigenen Slogan macht er ‚worauf es ankommt‘ – aber nicht mehr. Sein größtes Manko: Es gibt in seiner Wahlkampfrede kein verbindendes Narrativ und wenig dramaturgische Struktur. Weniger Abstraktion, mehr Anschaulichkeit und Persönliches und eine flüssigere Aussprache hätten die Wüst-Rhetorik aufgewertet“, sagt VRdS-Analyst Daniel Jungblut. 

Neubaur: Kraftvoll, aber schwach in der Argumentation 

Nur knapp hinter Platz drei landet Mona Neubaur von den Grünen. Zwar hält auch sie im Wahlkampf solide, kraftvolle Reden. Punktabzüge gibt es aber nach dem Urteil des Analysten und VRdS-Vizepräsidenten Jürgen Sterzenbach in den Disziplinen Argumentation und Profilschärfung: „An die Stelle einer echten argumentativen Herleitung ihrer politischen Positionen setzt Mona Neubaur größtenteils eine Aufzählung des grünen Wahlprogramms. Auffallend ist zudem die fast völlig fehlende Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Mehr Mut zum rhetorischen Ausdruck und gezielt gesetzte inhaltliche Höhepunkte hätten dem Auftritt gutgetan“, resümiert Sterzenbach. 

Wagner: Formal gut, inhaltlich abwegig 

Schlusslicht des Rankings ist laut Projektkoordinator und VRdS-Analyst Peter Sprong der Kandidat der AfD: „Der Auftritt Markus Wagners ist ein Lehrstück in Sachen Demagogie. Scheinargumente und inhaltlich abwegige Suggestionen stellen bestenfalls einen Missbrauch rhetorischer Techniken dar.“ Wer etwa die Bankenrettung aus der Eurokrise für die Höhe der aktuellen Inflationsrate verantwortlich macht, und damit objektiv falsche Kausalzusammenhänge vorgibt, führt seine Zuhörer in die Irre. Dafür gab es – trotz formal guter Leistungen etwa bei Verständlichkeit, Auftritt und Stimmführung – deutliche Punktabzüge.

 

Joachim Stamp. Foto: VRdS