Berlin, 15. September 2017 – Kleine Parteien, große Redner: Christian Lindner heißt der Sieger der Wahlredenanalyse des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS). Den zweiten Platz hinter dem FDP-Spitzenkandidaten teilen sich Sahra Wagenknecht (Die Linke) und der Grüne Cem Özdemir. Lindner folgt damit Gregor Gysi, der 2013 zum besten Wahlkampfredner gekürt worden war. Damit haben erneut im Bundestagswahlkampf die kleinen Parteien rhetorische Maßstäbe gesetzt.
Die Rangfolge:
Platz 1: Christian Lindner
Platz 2: Cem Özdemir und Sahra Wagenknecht
Platz 4: Martin Schulz
Platz 5: Katrin Göring-Eckardt
Platz 6: Joachim Herrmann und Angela Merkel
Platz 8: Dietmar Bartsch und Alice Weidel
Platz 9: Alexander Gauland
Insgesamt bescheinigten die Analysten des VRdS – allesamt erfahrene Redenschreiber – den Rednern professionelle Auftritte: Sie nutzten meist starke Bilder, bemühten sich, einfach und verständlich zu sprechen und argumentierten überwiegend stringent.
Der Sieger überzeugte vor allem durch die Kunst der seriösen Vereinfachung. Er verstand es, Zuhörer mit einer lebendigen und abwechslungsreichen Sprache in seinen Bann zu ziehen und erfreute das Publikum mit humorvollem Spott, so die Analysten.
„Christian Lindner war öffentlich der erste Spitzenpolitiker, der sich regelmäßig inmitten der Zuhörer ohne Pult und ohne Redezettel aufbaute und in alle 360 Grad Richtungen vortrug. Das lehnt an die Aufstellung im Amphitheater oder die ins Publikum hineinragenden Bühnen zu Shakespaeres Zeiten und im japanischen Kibukitheater an, aber auch an die Wahlkampfarenen in den USA“, erklärt VRdS-Vizepräsidentin Antje Hermenau, die das Projekt gemeinsam mit dem Rhetorik-Experten Hans-Georg Roth geleitet hat, den Erfolg Lindners.
Doch der FDP-Spitzenkandidat ist nicht der einzige, der statt einer traditionellen Rede das dialogische Format für den Wahlkampfauftritt genutzt hat. Auch Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt (Analyst: „Keine klassische Rede, aber ein klasse Auftritt.“) und Joachim Herrmann stellten sich den Fragen des Publikums. Nachvollziehbar, druckreif, lebendig und frei, allerdings ohne regionale Bezüge sprach Sahra Wagenknecht. Sie verzichtete auf ein Dialogformat, wie auch ihr Pendant Dietmar Bartsch, der eine solide Rede ablieferte, bei der er jedoch zum Teil Schachtelsätze nutzte.
Im direkten Vergleich mit Angela Merkel gewann Martin Schulz, nicht zuletzt weil es ihm gelang, aktuelle Themen mit seiner eigenen Biografie zu verbinden. Beispielsweise erläuterte er den Wert der Europäischen Union am Schicksal seiner Mutter nach dem Krieg. Die amtierende Bundeskanzlerin redete mit viel Sachverstand, jedoch wenig Emotion und nahezu ohne rhetorischen Stilmittel, aber verständlich und nachvollziehbar. CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann überzeugte durch klare und konkrete Botschaften. In der Attacke blieb er fair, nahm mit Witz seinen Aussagen die Schärfe. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel sprach flüssig, frei, verständlich und nutzte viele anschauliche Beispiele. Allerdings enthielt ihre Rede Passagen pauschaler, aggressiver Abwertung. Alexander Gauland (AfD) wurde von seinen Anhängern mit viel Applaus und Zustimmung bedacht. Rhetorisch aber konnte er die VRdS-Analysten nicht überzeugen. Zum einen, weil der Rede der Rote Faden fehlte, zum anderen, weil er häufig Sprachbilder nutzte, die der Kriegssprache entliehen waren.
Hintergrund:
Seit 2009 analysieren VRdS-Profis Spitzenkandidatinnen und -kandidaten im Straßenwahlkampf, um die beste Wahlkampfrednerin bzw. den besten Wahlkampfredner zu küren. Ziel ist es, konstruktives Feedback zu geben und damit zur Verbesserung der Redekultur in Politik und Gesellschaft beizutragen. Berücksichtigt werden die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen aller Parteien, die in den Umfragen der letzten drei Monate über fünf Prozent lagen. Ihre Reden werden nach definierten rhetorischen Kriterien, nicht nach Inhalten bewertet. Um die Neutralität zu gewährleisten, wird jeder Redner von mindestens zwei VRdS-Profis begutachtet. Die Analysen gehen den Rednern im Anschluss zu.
Für Interviewanfragen wenden Sie sich bitte an Anja Martin, Sprecherin des VRdS, unter presse@vrds.de, Telefon 0163 63 88 900.