Wolodymyr Selenskyj hat geschafft, was unzählige Demonstrationen, Kampagnen und Rockkonzerte „gegen Rechts“ nicht geschafft haben. Er hat die AfD mit einer einzigen Rede aus dem Bundestag verscheucht. Und die linkspopulistische BSW von Sarah Wagenknecht gleich mit. Herzlichen Glückwunsch!
Nach der für sie erfolgreichen Europawahl konnten es AfD und BSW offenbar nicht ertragen, einen Tag lang nicht im Rampenlicht zu stehen. Also griffen Alice Weidel und Sarah Wagenknecht zu dem Trick, mediale Präsenz durch Nichtpräsenz zu erreichen und boykottierten die Rede des ukrainischen Präsidenten im Deutschen Bundestag. Dem schloss sich ihre jeweilige Gefolgschaft fast geschlossen an.
So fanden an diesem denkwürdigen Nachmittag des 11. Juni 2024 nicht nur die Worte Selenskyjs Beachtung, sondern auch die Bilder von den leeren Stuhlreihen im Plenum des Bundestags.
Es heißt, ein Bild sage mehr als tausend Worte. Damit hätten Weidel und Wagenknecht den Kampf um die Aufmerksamkeit scheinbar gewonnen. Doch die Frage ist, was das Bild der leeren Stuhlreihen eigentlich vermittelt hat. AfD und BSW wollten damit ihre Ablehnung der deutschen Ukraine-Politik zum Ausdruck bringen. Aber sichtbar wurde vor allem die Respekt- und Würdelosigkeit von Abgeordneten, deren Profilierungssucht zu Verblendung geführt hat.
Wolodymyr Selenskyj hat eine eindrucksvolle Dankesrede an die Deutschen für ihre Unterstützung seines geschundenen, vom Krieg zermürbten Volkes gehalten. Er zeichnete auch ein Bild der Hoffnung auf ein Ende des Krieges, als er an den Fall der Mauer 1989 erinnerte, zu einem Zeitpunkt, als kaum noch jemand daran geglaubt hatte. Selenskyj hat zum ersten Mal persönlich im Bundestag gesprochen, und es war ein Zeichen guter politischer und demokratischer Kultur, dass man ihn eingeladen hatte. Es war zugleich eine Botschaft an das ukrainische Volk: Wir sind an eurer Seite.
Prädikat: gruselig
Wie beschämend war dagegen das Bild, das AfD und BSW abgegeben haben. Der Boykott dieser Rede war nicht nur eine Respektlosigkeit gegenüber dem ukrainischen Volk und seinem demokratisch gewählten Staatsoberhaupt, sondern auch gegenüber uns, dem deutschen Volk. Wenn sich gewählte Vertreter Deutschlands angesichts der schrecklichen Situation in der Ukraine weigern, auch nur zuzuhören, dann fehlt ihnen offensichtlich jeder Sinn für Anstand und Würde. Schlimmer noch: Zu fordern, mit dem Kriegstreiber Putin zu verhandeln und gleichzeitig Selenskyj verächtlich als „Kriegs- und Bettelpräsidenten“ zu bezeichnen, wie es später in einer Pressemitteilung der AfD hieß, ist eine Wortwahl, die ein Denken offenbart, dem selbst die einfachsten Regeln der Diplomatie fremd sind, geschweige denn Empathie und Menschlichkeit. Prädikat: gruselig.
In der Rhetorik gibt es das Ideal des vir bonus, das einen guten Redner auszeichnen sollte. Quintilian verlangte von einem guten Redner nicht nur rednerische Fähigkeiten, sondern auch ethische Tugenden. Denn echte Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit sind ohne Integrität der Persönlichkeit nicht möglich. Das mediale Aufsehen, das Weidel, Wagenknecht & Co. mit ihrem Boykott erregt haben, könnte ihnen daher auf die Füße fallen. Wenn auch die eigenen Wähler erkennen, dass die leeren Stuhlreihen ein Sinnbild für Charakterlosigkeit waren.