Erinnerung an eine aufsehenerregende Rede

Wiener Hofburg, Quelle: Pixabay

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.“

Anfang Mai kam mir Michael Köhlmeier in den Sinn. Vor allem obiges Zitat als Auszug seiner Rede, die der österreichische Schriftsteller anlässlich des Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus am 4. Mai 2018 in der Wiener Hofburg hielt. Es ist eine kurze, jedoch eindringliche Rede, in der Köhlmeier Zivilcourage, 2023 als Jahresthema des Mauthausen Komitees ausgerufen, mit jedem Wort und jeder Geste präsentiert.

Eine gute Gelegenheit also, um an diese aufsehenerregende Rede zu erinnern. Zumal die klare Botschaft des Redners auch 2023 in Österreich nach Vergleichbarem sucht.

Die Dinge beim Namen nennen: „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle.“

Köhlmeier steht entschlossen hinter dem Rednerpult. Er hält diese Rede nicht. Er ist diese Rede. Jedes Wort stammt aus seiner Feder, hinter jedem Satz steht spürbar eine tiefe Überzeugung. Seine tiefe Überzeugung, menschlich nicht klein beizugeben und ausschließlich Phrasen des „Nie-Wieder!“ oder des „Nie-Vergessen!“ wie in den meisten Gedenkreden üblich aneinanderzureihen. Nein, seine Botschaft lautet, die Dinge beim Namen nennen. Damit bezieht sich Köhlmeier auf die demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Wortmeldungen, die regelmäßig auf Social Media und in den österreichischen Printmedien auftauchen. Vornehmlich Aussagen von FPÖ-Politikern und Politikerinnen, die an diesem denkwürdigen Tag im Publikum sitzen sowie zu diesem Zeitpunkt Regierungsmitglieder sind. Mit Köhlmeiers Willen, die Wahrheit zu benennen und sich nicht dumm zu stellen, entlarvt er die Doppelmoral der angesprochenen Personen auf dieser Gedenkveranstaltung. „Sündenböcke braucht das Land. Braucht unser Land Sündenböcke?“ stellt Köhlmeier rhetorisch in den prunkvollen Raum. 

Für diese Rede erntete der Schriftsteller neben Standing Ovations, viel mediales Lob. Kritik kam hauptsächlich von FPÖ-Politikern und Politikerinnen. Ein rhetorisches Zeugnis für den „Widerstand der kleinen Münze“ wie der Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann Zivilcourage im Rahmen von Demokratien nennt, ist die Köhlmeier Rede allemal. Die Dringlichkeit für Mut zu Zivilcourage in Wort, Schrift und Haltung wäre angesichts derer, die einem „Wieder!“ gegenwärtig Tür und Tor öffnen, mehr als gegeben. Denn „zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt…Erst wird gesagt, dann wird getan.“ (Michael Köhlmeier, 2018)

Link zur Rede: https://youtu.be/6Emi7agSGgo

Nina Mahler

https://vrds.de/ghostportraits/nina-mahler/

Gefährtin, Mutter, Freundin, studierte und praktizierende Philosophin, Sozialpädagogin. Finderin ausgewogener Worte im Beruflichen wie im Privaten. Inhaberin von Redenmanufaktur

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