Bei der Analyse der Hauptversammlungsreden im DAX40 stehen die CEOs im Rampenlicht. Auch wenn ihnen als den Rednern alle Ehre gebührt, haben die Redenschreiberinnen und -schreiber einen gehörigen Anteil am Redeerfolg. Höchste Zeit, einige der Edelfedern einmal vorzustellen. Heute beginnen wir mit David Christoph Lerch, Redenschreiber des Vorstandsvorsitzenden der Bayer AG.
Dr. David Lerch ist seit 2017 für Bayer tätig. Dieses Jahr verfasste er zum fünften Mal die HV-Rede von Bayer-Chef Werner Baumann. Als leitender Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung verantwortet er unter anderem die Reden des CEO. Bevor er in Leverkusen anheuerte, war Lerch rund zehn Jahre als Journalist tätig, unter anderem für den Berliner Tagesspiegel und die ARD-Sendung „hart aber fair“, und danach zwei Jahre Redenschreiber des damaligen Bundeswirtschaftsministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel.
VRdS: Du schreibst jetzt seit fünf Jahren Hauptversammlungsreden. Wie hat sich die CEO-Rede während dieser Zeit verändert?
David Lerch: Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft und aus meiner Sicht geht es bei den HV-Reden inzwischen vor allem um die Frage: Wie können Lösungen für die großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit aussehen und was kann unser Unternehmen dazu beitragen? „The business of business is business“ war gestern und vermutlich damals schon falsch. Natürlich interessieren sich alle Stakeholder eines Unternehmens für den wirtschaftlichen Erfolg, aber eben nicht nur. Zudem ist die Zielgruppe größer geworden, weil heute sehr unterschiedliche Leute auf die HV schauen.
Was heißt das für die HV-Rede?
In der HV-Rede vollzieht sich im Kleinen der Wandel von der Shareholder zur Stakeholder Economy. Das bedeutet, die Rede muss sich nicht nur an eine, sondern an mehrere unterschiedliche Stakeholder-Gruppen richten. Natürlich an AktionärInnen, InvestorInnen und JournalistInnen, aber auch intern wird die HV-Rede sehr stark wahrgenommen genauso wie in relevanten politischen und gesellschaftlichen Kreisen. Eigentlich wird bei der HV eine kleine Rede zur Lage der Nation in einem Unternehmen gehalten. Gleichzeitig vollziehen sich hier natürlich auch allgemeine Trends der Kommunikation hin zu mehr Emotionalisierung, Personalisierung, Storytelling und natürlich zu den technischen Möglichkeiten, die wir inzwischen haben. In der Pandemie sind aus den virtuellen HV-Reden professionelle TV-Übertragungen geworden. Mit den klassischen Powerpoint-Präsentationen hat das nichts mehr zu tun.
In der Pandemie sind aus den virtuellen HV-Reden professionelle TV-Übertragungen geworden. Mit den klassischen Powerpoint-Präsentationen hat das nichts mehr zu tun.
Was macht für Dich eine erfolgreiche HV-Rede aus?
Dass sie bei den ZuhörerInnen ankommt. Bei der physischen HV-Rede gibt es so eine Art „3+X“-Regel: Es gibt Applaus am Anfang, Applaus am Ende und Applaus, wenn den MitarbeiterInnen gedankt wird. Das ist gesetzt. Wenn Du es schaffst, zwischendrin noch Applaus zu bekommen, dann funktioniert die Rede. Virtuell ist das natürlich anders. Aber es geht auch nicht allein um Applaus, sondern darum, in einem ganz konkreten Moment angemessen zu kommunizieren, also die Erwartungshaltung der Zielgruppen zu treffen und die aktuellen Botschaften des Unternehmens zu vermitteln. Denn auch wenn eine HV-Rede auf ein ganzes Geschäftsjahr zurückblickt, ist sie immer auch eine aktuelle Momentaufnahme.
Hast Du ein Beispiel dafür?
Wir hatten und haben natürliche übergeordnete Themen, die alles dominieren. Beim Ausbruch von COVID-19 im Frühjahr 2020 gab es nur dieses Thema – auch in den HV-Reden. Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist es dieses Jahr ähnlich. Aber die Momentaufnahmen betreffen natürlich auch immer die Lage des einzelnen Unternehmens. Ich erinnere mich noch an unsere Hauptversammlung 2019, als wir nach der Übernahme von Monsanto unter Druck standen. Wir hatten im Vorfeld ein paar Vorschläge zur CEO-Rede, aber Werner Baumann wollte sich auf die Fragen konzentrieren, die den AktionärInnen wirklich unter den Nägeln brannten. Am Ende wurden diese Fragen zum zentralen Strukturelement der Rede und Herr Baumann hat alle Fragen so gut beantwortet, wie es damals eben ging. Es gab relativ viel Applaus, womit wir nicht gerechnet hatten. Der Vorstand wurde zwar am Ende des Tages nicht entlastet. Dennoch bin ich immer noch überzeugt: Das war die bestmögliche Rede in diesem konkreten Moment.
Wie entsteht die HV-Rede bei Bayer, und hat sich der Prozess in den letzten Jahren gewandelt?
Natürlich hat sich bei der virtuellen Hauptversammlung grundsätzlich viel verändert. Aber der Prozess der Rede ist eigentlich gleich geblieben. Es ist immer eine große Teamleistung und der wichtigste Teil dieses Teams ist natürlich der Redner selbst. Er gibt die Richtung vor und entscheidet am Ende. Wir starten in der Regel vier bis sechs Wochen vor der HV. Häufig gibt es ein Meeting vorab, bei dem wir mit Herrn Baumann besprechen, was ihm besonders wichtig ist. Dieses Jahr haben wir vor diesem Meeting schon eine erste Struktur abgestimmt und auf der Basis einen ersten Entwurf geschrieben. Der Rest ist dann einfach sehr viel Abstimmung und Detailarbeit mit zahlreichen KollegInnen und Partnern.
Die HV-Rede muss noch kürzer, einfacher und verständlicher werden.
Wer nimmt größeren Einfluss auf die Inhalte und Form der HV-Rede: Herr Baumann oder Du als sein Redenschreiber?
Natürlich er, schließlich ist es seine Rede und dazu kommen auch noch ein paar andere Kollegen. Zudem hat vor allem die Performance der Rede einen entscheidenden Einfluss. Ein Blatt Papier alleine hilft ja letztlich noch keinem. Ich glaube, für RedenschreiberInnen ist es wichtig, die eigene Rolle zu kennen. Ein ehemaliger Redenschreiber der EU-Kommission hat das mal mit den Worten umschrieben: „Speechwriting is a fine balance between drafting and inspiring.“ Ich verstehe das so, dass man immer wissen muss, was der Chef will, aber gleichzeitig auch Versuche unternimmt, Änderungen anzustoßen. Die beste Reaktion auf einen ersten Entwurf ist deshalb eigentlich nicht „Gut so, fertig!“, sondern eher „Gefällt mir, aber über ein paar der Punkte müssen wir noch reden.“ Das gilt besonders für eine große Rede wie bei einer Hauptversammlung. Am Anfang ist man da weniger als Redenschreiber gefragt, denn als Redenberater. Dann geht es um die Umsetzung und da ist man letztlich Dienstleister. Zum Schluss geht es um den Auftritt und da ist man wieder Berater.
Lässt Du Dich bei der Vorbereitung der HV-Rede von Herrn Baumann von anderen Hauptversammlungen inspirieren?
Ich glaube, dass der externe Blick extrem wichtig ist. Je größer die eigene Organisation, desto wichtiger. Ich verfolge sehr genau, was andere Unternehmen bei ihren HV-Reden machen. Zudem arbeite ich mit einem Team von externen Kommunikationsexperten, die genau diese Sicht einbringen. Das heißt nicht, dass man gelungene Auftritte von anderen CEOs einfach kopieren kann oder sollte. Unternehmen, Branchen und Persönlichkeiten sind zum Glück unterschiedlich, aber man kann sich natürlich inspirieren lassen. Die erste HV-Rede von Siemens-CEO Roland Busch in diesem Jahr mit vielen Storytelling-Elementen ist dafür ein gutes Beispiel.
Du hast es schon gesagt: Die HV-Rede richtet sich an immer mehr Stakeholder. Erhält damit die Verständlichkeit der Redeinhalte eine noch höhere Priorität?
Eindeutig ja! Verständlichkeit ist nochmal wichtiger geworden. Durch die breitere Stakeholder-Ansprache, aber auch durch das digitale Format. Die HV-Rede muss noch kürzer, einfacher und verständlicher werden. Ich versuche selbst, sehr stark darauf zu achten und unser Kommunikationschef tut das ebenfalls. Manchmal bitte ich auch einzelne Kollegen um gezieltes Feedback nur dazu. Aber natürlich gibt es auch gelegentlich Zwänge oder Entscheidungen, die auf Kosten der Verständlichkeit gehen. Es ist als Redenschreiber wichtig, für eine möglichst einfache Sprache zu kämpfen. Aber manchmal verliert man eben den Kampf.
Das Interview führte für den VRdS Patrick Maloney.