Digitale Rede mit neuen Herausforderungen

Foto: Bernd Fiedler (WMDE) auf der Daimler - Hauptversammlung 2018

Am 3. Februar beginnt mit der Hauptversammlung der Siemens AG die diesjährige Berichtssaison der DAX30-Konzerne. Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache e.V. wird wie seit 2014 wieder mit einem Dutzend Analyst*innen die Reden der Vorstandsvorsitzenden analysieren. Corona-bedingt wurden letztes Jahr bereits fast alle Hauptversammlungen digital durchgeführt. Doch nur wenige Konzerne hatten es geschafft, ihre Formate an die digitalen Bedingungen anzupassen.

„Optisch kommt die Online-Hauptversammlung nicht viel anders daher als die traditionelle analoge Ausgabe. Die Bildsprache hat sich kaum geändert. Nur wenige Unternehmen spielten die digitalen Möglichkeiten gekonnt aus“, kommentierte damals VRdS-Analystin Nicola Karnick.

Doch wenn die Rede des Vorstandsvorsitzenden auch medial vermittelt ihre Wirkung entfalten soll, müssen Redenschreiber, Produktionsplaner und auch der Redner an einigen Stellschrauben drehen.

 

Digitale Produktionsbedingungen fordern andere Vorbereitung und Inszenierung

„Ein guter Redner ist jemand, der bewirkt,
dass die Menschen mit den Ohren zu sehen vermögen“

Arabische Weisheit

Bei digitalen Formaten kommt dem Rahmen, neudeutsch auch „Setting“ genannt, eine größere Bedeutung zu. Dafür sollten sich die Planer in die Situation ihrer Zuseher versetzen. Abhängig vom digitalen Endgerät müssen die Bilder, Schnittfolgen und die Präsentation ebenso auf einer Bildschirmdiagonale eines großen Smartphones von 15 Zentimetern funktionieren wie auf einem großen Fernsehgerät mit 4K Ultra HD. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Inszenierung. Es reicht nicht, mit einer Kameraposition auf den Redner zuzuhalten und den Bildschirmausschnitt lediglich mit dem Zoom mal näher oder weiter zu wählen. Für eine abwechslungsreiche Bildregie bedarf es idealerweise einer zweiten Kamera, die mobil verschiedene Bildausschnitte liefert. Auch Ton und Beleuchtung sollten in professionelle Hände gelegt werden. Und natürlich bedarf es dann auch einer Bildregie, die die jeweiligen Streams gekonnt zusammenstellt. Gut gelungen ist dies auf dem CDU-Parteitag, der auch als Benchmark für die HV-Saison dienen kann.

Wer an dieser Stelle anmerkt, dass eine solche Kameratechnik und das entsprechend professionelle Personal für Beleuchtung, Live-Regie und Tontechnik hohe Kosten verursacht, dem sei gesagt: Alleine die Verköstigung der Aktionäre und die Mieten für Messehallen der alten Präsenz-HV kosten ein Vielfaches. Wenn also keine großen Hallen mehr benötigt werden, kommt eine gut inszenierte und professionell gestreamte HV in eignen Hallen, Kantinen und Versammlungsräumen allemal günstiger und vielleicht auch authentischer?

Rhetorik der digitalen HV muss andere Seh- und Hörbedingungen berücksichtigen

„Für eine gelungene Rede gebrauche gewöhnliche Worte
und sage ungewöhnliche Dinge“

Arthur Schopenhauer

Technik und Bildgestaltung sowie Medientraining garantieren alleine noch keine gute HV-Rede. Es geht auch um die Rhetorik. Und die muss sich an die besonderen Bedingungen des Online-Formats anpassen: Die Seh- und Hörbedingungen unterscheiden sich deutlich von denen einer Präsenzveranstaltung. Die Konzentration ist geringer, die Ablenkungsmöglichkeiten vielfältiger und die Aufmerksamkeitsspannen kürzer. Sind lange Schachtelsätze schon bei Präsenzveranstaltungen eine Zumutung, droht bei einem virtuell rezipierten Vortrag der Super-GAU. Die Zuhörer schalten innerlich ab, sie verpassen wichtige Aussagen. Die Sätze müssen deshalb kürzer, die Sprache lebendiger, die Vokabeln variantenreicher werden. Gestik und Mimik sollten bei einer Generalprobe überprüft und angepasst werden – ebenso wie die Fähigkeit, wechselnd live-geschalteten Kameras zu folgen. Die Präsentationen, die gerne im Hintergrund gezeigt werden, sollten mehr Bild- und nur sehr kurze Textbotschaften erhalten. Auch dem Aufbau und der Struktur kommen noch mehr Bedeutung zu. Eine klare Gliederung kann Zuhörern dabei helfen, sich während der Rede zu orientieren.

Story, Purpose und Future nehmen mehr Raum ein

Doch bei aller Vorbereitung gilt: Der Erfolg steht und fällt mit einem guten Manuskript, wie unser Kollege Patrick Maloney bereits zur Halbzeit der HV-Saison 2020 anmerkte: „Einen erkennbaren roten Faden, klare Botschaften und eine überzeugende Argumentation ersetzen Gestik, Mimik und virtuelle Kreativmittel aber noch lange nicht. Deswegen gilt auch für Reden auf virtuellen Hauptversammlungen: Auf den Inhalt kommt es an!“ Und hier hat sich in der Tat einiges getan. Als der VRdS 2014 erstmals die HV-Reden analysierte, standen oft Zahlenreihen und bekannte Erfolgsmeldungen im Vordergrund der Reden. Mittlerweile treten die oftmals bereits veröffentlichten Zahlen in den Hintergrund. Natürlich werden fein dosiert Bilanzkennzahlen wie EBIT und die Dividende erwähnt. Aber einen größeren Raum nehmen heute Storytelling, Purpose (englisch: Sinn, Zweck), gesellschaftliche Verantwortung, Klimawandel und Digitalisierung ein. Der Blick vieler HV-Redner wendet sich seit ein paar Jahren immer deutlicher in die Zukunft und welchen Zweck das Unternehmen erfüllen möchte. Und einigen Rednern, ja, es sind bisher eben keine Rednerinnen, gelingt es zunehmend besser, ihren Vortrag lebendig zu gestalten und damit auch die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu erhalten.

Ich jedenfalls bin zu Beginn der HV-Saison sehr gespannt, wie die DAX30-Konzerne die Herausforderungen der digitalen Hauptversammlung meistern.

Weitere Informationen zum Analyseprojekt und zum Analyst*innen-Team. 

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