„Beschütze mich, damit ich nicht in der Dunkelheit versinke.“

Yarden Bibas bei seiner Trauerrede am 26. Februar 2025. Foto: Screenshot

484 Tage war Yarden Bibas Geisel der Hamas. 484 Tage, in denen er – unter unmenschlichen Bedingungen in Tunneln gefangen – darauf hoffte, seine Frau Shiri und seine beiden Söhne Kfir und Ariel wieder in die Arme schließen zu können. Doch nach seiner Freilassung musste er erfahren, dass sie sich immer noch in den Händen der Hamas befanden. Ob sie noch lebten, war nicht sicher. Wenige Wochen später dann die Gewissheit, dass die Hamas sie auf grausamste Weise ermordet hatte. Seelische Qualen, die über jede Vorstellungskraft hinaus gehen. Das Schicksal der Familie Bibas erschütterte Israel und die Welt. Zehntausende säumten den 100 Kilometer langen Trauerzug zum Kibbuz Nir Oz, wo die Familie gelebt hatte und am 7. Oktober 2023 entführt worden war. Unter Tränen verlas Vater Yarden Bibas seine Trauerrede – ein Dokument der Liebe in Zeiten des absolut Bösen.

»Mi Amor, ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ›Meine Liebe‹ zu dir gesagt habe. Das war ganz am Anfang unserer Beziehung. Du hast mir gesagt, ich solle dich nur so nennen, wenn ich sicher bin, dass ich dich liebe, und es nicht leichtfertig sagen. Ich habe es damals nicht gesagt, weil ich nicht wollte, dass du denkst, ich hätte es eilig, dir zu sagen ›Ich liebe dich‹. Shiri, ich gestehe dir jetzt, dass ich dich schon damals liebte, als ich ›Mi Amor‹ gesagt habe. Shiri, ich liebe dich und werde dich immer lieben! Shiri, du bist alles für mich! Du bist die beste Ehefrau und Mutter, die es geben kann. Shiri, du bist meine beste Freundin. Wer wird mir nun dabei helfen, Entscheidungen zu treffen?

Erinnerst du dich an unsere letzte gemeinsame Entscheidung? Im Schutzraum fragte ich, ob wir ›kämpfen oder aufgeben‹ sollten. Du sagtest kämpfen, also kämpfte ich. Shiri, es tut mir leid, dass ich euch nicht beschützen konnte. Wenn ich nur gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich nicht geschossen. Ich denke an alles, was wir zusammen durchgemacht haben – es gibt so viele schöne Erinnerungen. Ich erinnere mich an die Geburten von Ariel und Kfir. Ich erinnere mich an die Tage, an denen wir zu Hause oder in einem Café saßen, nur wir beide, und uns stundenlang über alles Mögliche unterhalten haben. Es war wundervoll. Ich vermisse diese Zeiten sehr. Ich vermisse deine Anwesenheit zutiefst.

Shiri, so nah war ich dir seit dem 7. Oktober nicht mehr, und ich kann dich nicht küssen oder umarmen, und das bricht mir das Herz!

Ich möchte dir von allem erzählen, was in der Welt und hier in Israel passiert ist. Shiri, jeder kennt und liebt uns – du kannst dir nicht vorstellen, wie surreal dieser ganze Wahnsinn ist. Shiri, die Leute sagen mir, dass sie immer an meiner Seite sein werden, aber sie sind nicht du. Also bleib bitte in meiner Nähe und geh nicht weit weg! Shiri, so nah war ich dir seit dem 7. Oktober nicht mehr, und ich kann dich nicht küssen oder umarmen, und das bricht mir das Herz! Shiri, bitte wache über mich, beschütze mich vor schlechten Entscheidungen. Schütze mich vor schädlichen Dingen und schütze mich vor mir selbst. Beschütze mich, damit ich nicht in der Dunkelheit versinke. Mishmish, ich liebe dich! 

An seine Söhne gewandt sagte der Vater: »Ariel, ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich dich nicht richtig beschützt habe und dass ich nicht für dich da war. Ich hoffe, du weißt, dass ich jeden Tag und jede Minute an dich gedacht habe. Ich hoffe, du genießt das Paradies. Ich bin sicher, du bringst alle Engel mit deinen albernen Witzen und Nachahmungen zum Lachen. Ich hoffe, es gibt viele Schmetterlinge, die du beobachten kannst, so wie du es bei unseren Picknicks getan hast.«

Und an den kleinen Kfir: »Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Familie noch perfekter sein könnte, und dann kamst du und hast sie noch perfekter gemacht. Ich erinnere mich an deine Geburt. Ich weiß noch, wie die Hebamme währenddessen plötzlich innehielt. Wir hatten Angst und dachten, etwas stimme nicht, aber sie wollte uns nur sagen, dass wir einen weiteren Rotschopf bekommen haben. Mama und ich haben gelacht und uns gefreut. Du hast noch mehr Licht und Freude in unser kleines Zuhause gebracht. Du kamst mit deinem süßen, bezaubernden Lächeln, und ich war sofort Feuer und Flamme! Es war unmöglich, nicht die ganze Zeit an dir zu knabbern. Kfir, es tut mir leid, dass ich dich nicht besser beschützt habe, aber du sollst wissen, dass ich dich sehr liebe und schrecklich vermisse!«

Wandgemälde in Tel Aviv vom Dezember 2023.. Es zeigt die Familie Bibas, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas in den Gaza-Streifen entführt wurde. Die Mutter Shiri Bibas und ihre damals 9 Monate und 4 Jahre alten Söhne Kfir and Ariel besaßen neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wurden von der Hamas grausam ermordet. © Nizzan Cohen (Wikipedia)

 

Die Beisetzung fand im engen Familienkreis statt, Politiker waren nicht eingeladen. Die große Anteilnahme der Bevölkerung am Tod von Shiri, Ariel und Kfir Bibas sprach Israels Staatspräsident Isaac Herzog in einem Beitrag auf X aus.  

»Ein ganzes Land und ein ganzes Volk trauern. Wir alle, ein ganzes Volk mit gebrochenen Herzen, begleiten sie zur ewigen Ruhe. Dieses schreckliche Ende sollte nicht sein. Vor unserem geistigen Auge sahen wir sie zurückkehren, strahlend mit ihren goldenen Köpfen, mit dem lebendigen, spielerischen Blick, der in ihren kleinen Augen leuchtete. Wenn es noch Barmherzigkeit auf der Welt gibt, werden die schönen Gesichter von Shiri, Ariel und Kfir wie ein herzzerreißender Schrei sein, der in allen Ecken der Welt widerhallt. Ein Schrei, der von einem Ende der Welt bis zum anderen gehört wird, der die Herzen der Menschen aufweckt, deren Sinne abgestumpft sind, deren Maß für Gerechtigkeit verzerrt wurde, deren Herzen versiegelt sind. Sieh, oh Welt, heute bringen wir die süßesten und unschuldigsten deiner Kinder zur Beisetzung. Öffne dein Herz, oh Welt, stimme ein in den großen Schrei, den ein ganzes zerbrochenes Volk heute ausstößt.«

Quelle: Jüdische Allgemeine

Ein Video des Trauerzuges und der Trauerrede von Yarden Bibas wurde auf YouTube veröffentlicht (05:04.35). Einige Tage später schrieb er einen bemerkensweerten Brief an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der in der Knesset verlesen wurde.

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Yarden Bibas

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