„Keine Demokratie ohne freie Rede“ – das unterstreicht der VRdS anlässlich des 75. Geburtstags unseres Grundgesetzes am 23. Mai 2024. Zur aktuellen Lage und Bedeutung der freien Rede in Deutschland befragten wir außerdem Mitglieder des Deutschen Bundestages. Vielen Dank für die Antworten!
Christian Lindner, MdB, Bundesminister der Finanzen
Zuhören!
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Da gibt es mehrere: Wolfgang Döring zur Spiegel-Affäre im Deutschen Bundestag Ende 1962, Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 und Roman Herzogs Ruck-Rede im April 1997 zum „Aufbruch ins 21. Jahrhundert“.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Barack Obama, denn er vermag es, Substanz mit Emotionen zu verbinden.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Einen eigenen Gedanken zu haben und die Freiheit und den Mut, ihn zu äußern. All das ist essentiell für unsere Demokratie, denn sie lebt vom Wettbewerb der Meinungen und vom Austausch darüber. Als Redner habe ich den Anspruch, das Publikum ohne Manuskript, aber mit Konzept auf eine Reise mitzunehmen. Im besten Fall hinterlässt die Rede bei den Zuhörerinnen und Zuhörer Spuren, die zu eigenen Gedanken anregen und sie weiterbringen.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Zuhören!“
Cem Özdemir, MdB, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
Der beste Schutz ist das nie verstummende Widerwort
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Außenpolitisch ist es die Rede von Charles de Gaulle an die deutsche Jugend aus dem Jahre 1962 in Ludwigsburg, in der er den Weg zur europäischen Einheit über die deutsch-französische Verständigung bereitete, und innenpolitisch Richard von Weizsäcker am 8.Mai mit seiner Rede, wo er das Ende des zweiten Weltkrieges und damit das Ende der Nazidiktatur als Tag der Befreiung für das deutsche Volk einordnete.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Es gibt viele sehr gute Rednerinnen und Redner, denen ich schon zuhören durfte. Aber zwei ragten für mich besonders heraus, nämlich unser ehemaliger Bundestagspräsident Norbert Lammert und Joschka Fischer, Ex-Oppositionsführer der Grünen und Außenminister.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Die Redefreiheit ist die höchste Form der Freiheit, weil sich in ihr alles subsumiert – die Gedankenfreiheit, unsere sozialen und politischen Freiheitsrechte, die innere und die äußere Freiheit. Diese Freiheit gedeiht, je mehr wir sie pflegen. Sie braucht Fürsorge und lebendigen Diskurs. Und sie lebt vom Respekt für die Position des Gegenübers, von der Vielfalt der Perspektiven und der Lust am produktiven Streit.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Der beste Schutz ist das nie verstummende Widerwort, die entschlossene Gegenrede. Und zwar laut und vernehmbar als Unterstützung für diejenigen, die den Mut zur Freiheit des Wortes mit ihrer persönlichen Freiheit zahlen müssen. Denn das Wort hat die Kraft der Ewigkeit, es überdauert, es ist und bleibt die schärfste Waffe gegen Tyrannei und Obrigkeit. Es gilt der Satz von Friedrich Schiller: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd‘ er in Ketten geboren.“
Dr. Rolf Mützenich, MdB, Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag
Wer die Demokratie schützt und stärkt, schützt und stärkt immer auch das Recht auf freie Rede.
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Die Rede, die Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 in einer Gedenkstunde zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs vor dem Deutschen Bundestag in Bonn hielt. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Diese Worte lösten ein Beben aus, wie es kein Bundespräsident zuvor und danach ausgelöst hatte. Vor allem rechtskonservative Kreise wollten nicht mit dieser Aussage leben und griffen ihn dafür scharf an – allen voran Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß. Dass ein CDU-Politiker und Bundespräsident die bedingungslose Kapitulation des Dritten Reiches rhetorisch auf eine Weise interpretierte, die Deutschen hätten den Besatzern womöglich dankbar zu sein, empfanden damals viele als Verrat. Es war zweifellos eine große Rede. So bezeichnete Weizsäcker den „Völkermord an den Juden“ ausdrücklich als „beispiellos in der Geschichte“ und schloss erstmals zuvor marginalisierte Opfergruppen wie Sinti und Roma in das Gedenken ein. Mit seiner Rede zum 8. Mai hat Richard von Weizsäcker sich um unser Land und die politische Kultur verdient gemacht.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Martin Luther King. Ein charismatischer und einzigartiger Redner. Seine bewegende Rede „I have a dream“ vom 28. August 1963 beim Marsch auf Washington ist ikonisch für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und vollkommen zu Recht in die Geschichte eingegangen. Sie steht für den gewaltfreien Kampf gegen Rassendiskriminierung und die Vision einer friedlichen Welt und ist heute leider noch genauso aktuell wie damals. Martin Luther King träumte davon, dass es eines Tages selbstverständlich ist, dass „alle Menschen, egal welche Hautfarbe sie haben, vor dem Gesetz gleich behandelt werden, dass schwarze und weiße Menschen eines Tages in Frieden an einem Tisch miteinander sitzen können und dass seine vier kleinen Kinder eines Tages in einem Land leben, in dem sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden“. Die Rede vor 250.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial trug zudem maßgeblich dazu bei, dass bereits ein Jahr später in den USA per Gesetz die Rassentrennung aufgehoben und wenig später das uneingeschränkte Wahlrecht für die gesamte schwarze Bevölkerung verabschiedet wurde. Dafür und für seinen gewaltlosen Widerstand erhielt King 1964 den Friedensnobelpreis. Seinen Kampf bezahlte er mit seinem Leben. Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King – mit gerade einmal 39 Jahren – in Memphis Opfer eines rassistischen Attentates.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Für mich als überzeugten und stolzen Parlamentarier ist die freie Rede das wichtigste Arbeitswerkzeug, sei es im Plenum, in der Fraktion oder bei Veranstaltungen oder im Wahlkampf. Denn sie ist gleichzeitig Grundlage und Methode unserer Demokratie. Wie kein anderer Ort steht dafür der Plenarsaal des Deutschen Bundestages als Herzstück unseres Parlaments. Dort sprechen zu dürfen, empfinde ich wie sicher viele meiner Kolleginnen und Kollegen immer wieder als Privileg und als große Verantwortung.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Wir befinden uns in einer Zeit großer gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse über unser Zusammenleben und auch über Sprache, die wir aushalten müssen und können, auch wenn sie manchmal bis an unsere Schmerzgrenzen gehen. Dabei ist und bleibt die freie Rede durch unser Grundgesetz und unsere rechtstaatlichen Institutionen garantiert. Es sind Teile der politischen Rechten weltweit, die daran Zweifel säen, dass die Freiheit der Rede Bestand hat und die bei jeder Gelegenheit von Sprachverboten fabulieren. Freie Rede bedeutet jedoch nicht, dass das Gesagte frei bleiben muss von Widerspruch. Wer Kritik an den eigenen Forderungen und Formulierungen als Einschränkung der Redefreiheit diffamiert, meint es nicht gut mit unserer Demokratie. Deshalb müssen wir diesem Narrativ etwas entgegensetzen. Wer die Demokratie schützt und stärkt, schützt und stärkt immer auch das Recht auf freie Rede.“
Ulrich Lange, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Eine offene Debattenkultur leben
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Die Rede von Helmut Kohl im Deutschen Bundestag, in der er 1989 in der Haushaltsdebatte ein ‚Zehn-Punkte-Programm‘ zur schrittweisen Überwindung der Trennung Europas und der Teilung Deutschlands vorstellte. Damit setzte der damalige Bundeskanzler die deutsche Einheit auf die Tagesordnung, was sehr bewegend war.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Ein Großmeister der politischen Rede war Franz-Josef Strauß. Seine Rhetorik war volksnah und gleichzeitig waren seine Reden oft intellektuell brillant. Strauß ging mit der Sprache spielerisch um. Er sagte, was er dachte, strahlte Leidenschaft und Authentizität aus. Er begeisterte seine Zuhörer und leistete damit einen unschätzbaren Beitrag zur politischen Debattenkultur in unserem Land.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Die freie Rede ist der Kern unserer freiheitlichen Demokratie. Nur mit der freien Rede kann es politischen Wettstreit geben. Für mich als Bundestagsabgeordnetem ist die freie Rede die Grundvoraussetzung dafür, dass ich mein Mandat überhaupt ausüben kann.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Die freie Rede wird heute von vielen Seiten bedroht. Neben dem Recht zur Durchsetzung der freien Rede ist die Bildung das zentrale Instrument, um den Menschen die herausragende Bedeutung dieses Grundrechts klarzumachen. Letztlich sind aber auch wir alle als Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, die freie Rede zu schützen und eine offene Debattenkultur zu leben. Nur so kann die liberale Demokratie dauerhaft überleben.“
Britta Haßelmann, MdB, Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Auf respektvolle Diskursräume achten
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Da gibt es mindestens drei. Waltraud Schoppe, die als Grüne Abgeordnete 1983 im Parlament die patriarchalen Strukturen im Bundestag anprangerte: „Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen“ – während viele der männlichen Abgeordneten gröhlen und lachen. Navid Kermani, der sich zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes getraut hat, keine geschliffene Geburtstagsrede zu halten, sondern auch über die Ecken und Kanten des Grundgesetzes gesprochen hat. Das haben einige als eine Zumutung empfunden – ich fand es bemerkenswert und mutig. Marcel Reich-Ranicki, der am Holocaustgedenktag 2012 durch seine nüchterne Vortagsweise das Grauen und das Böse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft so fassbar machte, dass er das Parlament verstummen ließ. Bis heute spüre ich das Gefühl dieses Moments.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Die Kraft einer guten Rede liegt nicht immer in ihrer Länge. Das hat Ruth Bader Ginsberg gezeigt, mit ihren zwei Worten: I dissent – ich widerspreche. Sie steht für die Rechtsstaatlichkeit und für den Feminismus wie keine andere. Wer sich sein Leben lang für die Gleichstellung der Geschlechter engagiert, die kann auch mit zwei Worten, in denen eine ganze politische Lebensgeschichte liegt, so viel sagen.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Für mich ist das Parlament, die Herzkammer unserer Demokratie, der zentrale Ort der Debatte. Freie Rede (dort wie anderswo) lebt von Rede und Gegenrede, vom Ringen um die beste Idee. Vom Darlegen von Argumenten, vom Widerspruch, vom Zuhören und vom Finden eines Konsenses.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Die freie Rede ist durch das Grundgesetz geschützt. Deutschland ist eines der freiesten Länder, was das angeht. Was jede und jeder selbst tun kann, ist auf respektvolle Diskursräume zu achten, online wie offline und sich gemeinsam mit Demokrat*innen allen Versuchen, die Grenze des Sagbaren zu verschieben, widersetzen.“
Christian Dürr, MdB, Fraktionsvorsitzender der FDP im Deutschen Bundestag
Hass und Hetze fallen nicht unter den Schutz der freien Rede
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Es gab viele Reden, die mir positiv in Erinnerung geblieben sind, aber ich will mich auf zwei beschränken. Zum einen denke ich an die berühmte Balkonrede in Prag 1989 vom damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Als Genscher damals in der Prager Botschaft den mehr als 4000 DDR-Flüchtlingen die fortan mögliche Ausreise verkündete, konnte er den Satz „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“ nicht zu Ende führen, da die vielen Menschen im Garten der Botschaft bereits in tosenden Jubel ausbrachen. Diese Rede steht sinnbildlich für die Freude, die Millionen von Menschen in Deutschland über die anschließende Wiedervereinigung empfunden haben – einer der größten Meilensteine in der deutschen Geschichte.“ Tief beeindruckt hat mich zudem Guido Westerwelles Rede zur Freiheit im Jahr 2011. „Freiheit stirbt immer zentimeterweise“, sagte Westerwelle damals in Anlehnung an Karl-Hermann Flach. Freiheit sei vor allem dann bedroht, „wenn die Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Immunsystem vergessen“, das sie gegen jede Freiheitsbedrohung wappnen müsse. Das teile ich bis heute – Freiheit und Bürgerrechte müssen immer höchste Priorität haben.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „John F. Kennedys Reden zeugten von großer rhetorischer Kraft und Empathie. Er verstand es, Menschen zu inspirieren und Hoffnung zu vermitteln, was in Zeiten des Kalten Krieges von unschätzbarem Wert war. Ich denke etwa an seine berühmte Rede in Berlin aus dem Jahr 1963. Kennedys Fähigkeit, prägnante und emotionale Botschaften zu übermitteln, machte ihn zu einem der besten Redner seiner Zeit.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Für mich bedeutet die „freie Rede“ nach Art. 5 GG das Recht für alle Menschen ihre Meinung offen und ohne Angst vor Repressalien äußern zu können. Die freie Rede ist ein Fundament unserer Demokratie und ermöglicht einen freien, respektvollen Austausch von Ideen und Meinungen. Besonders in Zeiten polarisierender Debatten ist sie unverzichtbar. Wichtig ist aber, dass die Redefreiheit verantwortungsvoll genutzt wird, denn Hass und Hetze fallen nicht unter den Schutz der freien Rede und dürfen nicht mit rechtmäßiger Kritik verwechselt werden.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Die Meinungsfreiheit muss durch konsequenten Schutz vor staatlicher, aber auch gesellschaftlicher Zensur und durch Förderung eines offenen Diskurses bewahrt werden. Die jüngsten Angriffe auf Politiker im Wahlkampf, auf Einsatzkräfte und Ehrenamtliche, zeigen, dass wir unsere Demokratie noch entschlossener schützen müssen. Gewalt und Einschüchterung dürfen keinen Platz in unserer politischen Kultur haben. Das gilt auch für die sozialen Medien. Zudem müssen wir die politische Bildung stärken, damit auch wirklich alle Bürgerinnen und Bürger die Bedeutung und Grenzen der freien Rede verstehen und schätzen. Denn nur durch einen lebendigen Austausch unterschiedlicher Meinungen bleibt unsere Gesellschaft weiterhin pluralistisch und frei. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes empfinde ich daher großen Dank und Stolz, appelliere aber gleichzeitig auch daran, dass es eine niemals endende Aufgabe von Politik und Gesellschaft ist, unsere Verfassung zu schützen.“
Heidi Reichinnek, MdB, Gruppenvorsitzende DIE LINKE im Deutschen Bundestag
Wer Meinungen äußert, muss auch bereit sein, gegenteilige Meinungen anzuhören
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Für mich ist die Rede von Waltraud Schoppe aus dem Jahr 1983 zum Thema Abtreibungen und Sexismus besonders wegweisend gewesen. Der Umgang im Bundestag war sicher vor 40 Jahren noch ein deutlich anderer – dennoch hat diese Rede uns auch heute noch viel zu sagen.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Gregor Gysi, da er es aus meiner Sicht immer wieder schafft, komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, sie aber gleichzeitig auch immer in ihren Gesamtkontext einzuordnen und damit nicht zu verkürzen. Ihm gelingt es dabei, mit den Menschen auf Augenhöhe zu reden und sie für politische Themen zu interessieren.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Die freie Rede ist integraler Bestandteil einer Demokratie – ohne den Schutz freier Meinungsäußerung kann sie nicht bestehen. Die Abwägung zwischen der freien Rede und anderen Grundrechten muss stets mit größter Sorgfalt getroffen werden und eine Einschränkung kann nur im Ausnahmefall stattfinden. Die freie Rede darf jedoch nicht mit „Widerspruchslosigkeit“ verwechselt werden. Wer Meinungen äußert, muss auch bereit sein, gegenteilige Meinungen anzuhören.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Zumindest in Deutschland sehe ich die freie Rede von Staatsseite aus nicht gefährdet. Problematisch sehe ich allerdings die Art und Weise an, wie insbesondere auf Social Media agiert wird. Dass Menschen für Aussagen gezielt von ganzen Trollarmeen angegriffen werden, hat oft nichts mehr mit „Widerspruch“ zu tun und sollte dementsprechend stärker unterbunden werden. Hier sehe ich vor allem die Plattformbetreiber in der Pflicht. Wir brauchen eine lebendige Diskussionskultur – eine solche erhalten wir aber nicht, wenn das Recht des Stärkeren regiert.“
Sören Pellmann, MdB, Gruppenvorsitzender DIE LINKE im Deutschen Bundestag
Die Demokratie verteidigen
Welche politische Rede hat Sie in den vergangenen 75 Jahren am meisten beeindruckt? „Stephan Heyms Eröffnungsrede zum 13. Bundestag als Alterspräsident am 10. November 1994. In einer sehr nachdenklichen Rede rief er zu „gegenseitiger Toleranz und gegenseitigem Verständnis“ auf und fragte ob nicht auch Erfahrungen aus der ehemaligen DDR vom Westen übernommen werden sollten. Zu der damaligen Zeit war das auch eine sehr mutige Rede. Angesichts der heutigen Entwicklung in Ostdeutschland ist es nach wie vor ein aktuelles Thema.“ Welche Politikerin/welcher Politiker (national oder international) ist/war aus Ihrer Sicht die beste Rednerin/der beste Redner – und warum? „Gregor Gysi beherrscht die Kunst der Rede vortrefflich. Mir imponiert seine Schlagfertigkeit. Er argumentiert pointiert, verständlich und bürgernah und ist stets gut informiert. Auch bei verbalen Angriffen oder Zwischenrufen aus dem Plenum bleibt er stets sachlich und gewitzt.“ Was bedeutet „freie Rede“ (Art. 5 GG) für Sie persönlich? „Freie Rede“ bedeutet für mich sich in allen Formen ohne die Gefahr von Repressionen äußern zu können, ohne ausgegrenzt, isoliert und diffamiert zu werden. Die Einhaltung des Art. 5 GG überfordert offensichtlich viele Politiker in der letzten Zeit. Da sind wir wieder bei Stefan Heyms Forderung nach „gegenseitiger Toleranz und gegenseitigem Verständnis“ angelangt.“ Was können wir tun, um die freie Rede zu schützen? „Die Demokratie verteidigen.“